Das zum London Marathon vorhergesagte regnerische Wetter kam in der Tat, allerdings etwas früher als erwartet. Pünktlich zum Start der Elitefrauen um 9:20 Uhr ließ dann der Regen nach und es klarte zunehmend auf. Mit schwachem Wind und Temperaturen um 10°C waren dann die Bedingungen für einen Marathonlauf eigentlich recht gut, was die Männer zu einem schnellen Lauf mit einem noch spannenderem Finale nutzen. Über die außergewöhnlich besetzten Elitefelder war im Vorfeld (auch an dieser Stelle) ausgiebig berichtet worden, so dass die Erwartungen an schnelle Rennen hoch waren.
Dies galt für allem vor den Wettstreit der Frauen, die schon seit gut 10 Jahren der Fabelzeit von Paule Radcliffe von 2:15:25 hinterherlaufen und nicht in Ansätzen in der Lage waren in diese Dimensionen vorzudringen. Aber aus dem Angriff zumindest in das Regime des (Nur-Frauen-)Weltrekords von Paula von 2:17:42 wurde nichts, aus Gründen, die kaum herauszufinden waren, gab es im Ziel recht enttäuschende Zeiten. Paula, die in der gleichen Veranstaltung – allerdings mit dem Massenstart 50 Minuten später – zu ihrem viel beachteten Abschiedslauf gestartet war, bleibt auch im Jahr 2015 mit ihren unglaublichen Leistungen das Maß aller Dinge.
Dieses Bild veranschaulicht die Renngestaltung der Frauen nach dem Ausstieg der Tempomacherinnen nach 25 km. Tempohatz am Limit sieht anders aus. (c) H. Winter
Das Rennen der Frauen startete mit einem sehr langsamen km von 3:38. Dies wurde aber umgehend korrigiert mit km-Abschnitten von 3:19, 3:23, 3:17 und 3:15, so dass nach 5 km in 16:52 auf Kurs von 2:22:20 lag. Auf dem kommenden 5 km in 16:28 wurde das Tempo hochgehalten, obwohl die Tempomacherinnen schon mehrmals deutlich vor der Elite liefen. 10 km in 33:10 und Kurs auf 2:20:39 leißen nun für den Rest des Rennen einiges erwarten, insb. der geballten Menge an Läuferinnen absoluter Weltklasse.
Doch dann kam es ganz anders. Recht unerwartet verlor die Elite sehr sichtbar den Kontakt zu den beiden Tempomacherinnen Peres Jepchirchir und Rebecca Chesir und das hatte Folgen. Die km-Splits stiegen nun deutlich an und akkumlierten sich bei der Hälfte in 1:11:41 bereits zu einer Zeit im Ziel von 2:23:22. EIgentlich hatte man im Vorfeld eine Zeit von 1:09:15 angestrebt, nun lag man fast 2 1/2 Minuten zurück. Jegliche Ambitionen auf eine Topzeit waren damit dahin.
NAch 25 km gingen die beiden Pacemaker(innen) aus dem Rennen, die hattensich redlich bemüht, genutzt hatte das aber wenig. Die 5 km-Abschnitten ab 20 km (1:08:06) betrugen 17:14, 17:14 und 17:22. Das war zwar sehr gleichmäßig aber etwa eine Minute zu langsam. Bewegung kam erst ins Rennen als es nach 37 km in einen Tunnel ging, wo die kleine Äthiopierin Sigist Tufa eine frühe Entscheidung suchte. Mit km-Abschnitten von 3:10, 3:07 und 3:10 konnten überraschend keine der großen Favoritinnen ihr Tempo mitgehen und der Kampf um den Sieg war eigentlich hier entschieden.
Was zunächst nach einer großen Überraschung aussah, niemand hatte im Vorfeld Tufa auf der Rechnung gehabt, war jedoch durchaus im Rahmen der Erwartungen, Denn Tufa hatte in 2:21:52 den Shanghai Marathon im letzten Herbst gewonnen und hatte beim schnellen Rennen in Dubai im Januar weit vor der Elite das Tempo bis 35 km bestimmt, um dann aber eingeholt zu werden und das Rennen vorzeitig zu beenden.
Siegte beim London Marathon durch ein schnelles Finale: Tigist Tufa aus Äthiopien, (c) H. Winter
In London zeigte Tufa aber keine Anzeichen von Erschöpfung und gewann den Lauf nach 2:23:22. Damit war die Weltelite geschlagen, die durch das moderate Tempo Tufa sicherlich in die Karten gespielt hatte. Hinter Tufa konnte Mary Keitany die bereits enteilte Tirfi Tsegaye noch abfangen und in 2:23:40 Platz 2 erringen. Die nächsten beiden Plätze gingen dann an die Aselefech Mergia (ETH) und eine der großen Favoritinnen Florence Kiplagat. Einen schwarzen Tag hatte die Vorjahressiegerin Edna Kiplagat (EKN), die abgeschlagen in 2:27:16 nur Elfte wurde.
In der Grafik der projizierten Endzeiten als Funktion der Streckenlänge ist deutlich der dramatische Einbruch des Tempos nach gut 10 km zu erkennen. Eine Grund für diesen Verlauf des Rennens konnte man aber auch nach intensiver Nachfrage nicht bekommen. Fazit: Große Ankündigungen, eine einmalige Besetzung, aber eher bescheidene Resultate. Man muss schon ins Jahr 2008 (Irina Mikitenko 2:24:14) zurückgehen, um eine ähnlich “schwache” Siegerzeit in London zu finden. 2:19:19, 2:18:37, 2:20:15 und 2:20:21 waren die Zeiten in den Vorjahren.Projizierte Endzeiten als Funktion der Streckenlänge für das Rennen der Frauen beim London Marathon 2015. (c) H. Winter
Das Rennen der Männer lief ganz anders als jenes der Frauen und konnte in allen Belangen die hohen Erwartungen an das einmalige Feld der Eliteläufer erfüllen. Beim Start der Männer um 10:10 Uhr hatte sich der Regen lange verzogen und es herrschten nahezu perfekte Bedingungen. Sofort ging man flott zur Sache um legte den ersten km in 2:52 zurück. Auch die nächsten km auf dem leicht abschüssigen Steckenteil aus Greenwich heraus waren mit 2:56, 2:52. 2:55 und 2:58 schnell udn führten bei 5 km zu einer Zwischenzeit von 14:33. Man war damit auf Kurs von 2:02:47, lag also unter dem aktuellen Weltrekord von Dennis Kimetto (2:02:57). Dann wurde man etwas langsamer, lag aber bei 10 km nach 29:14 immer noch auf einer Zeit im Ziel von 2:03:21.
Das Elitefeld der Männer kurz vor 25 km. Ein Tempomacher (PACE 2) ist noch dabei. Unmittelbar dahinter laufen: Kimetto, Kipchoge und Kipsang (v.l.). (c) S. Hartnett
Im weiteren Verlauf verlor man immer etwas mehr Zeit und mit 5 km Abschnitten von 14:50 und besonders 14:58 lag man beim Halbmarathon in 1:02:19 eine gute 1/2 Minute über den Vorgaben. Als man dann sogar für den 5 km Abschnitt von 20 km nach 25 km mit 15:01 sogar über einem 3 Minuten/km Schnitt blieb, war an eine Zeit im Bereich des Weltrekords schon lange nicht mehr zu denken.
In der Spitzengruppe gab es da aber schon dort die ersten Ausfälle, wobei es besonders hart beide “Mutais” traf. Geoffrey Mutai, der eigentlich schon im Februar in Tokyo starten wollte, musste auf Grund seiner nicht ausgeheilten Verletzung aufgeben, Namensvetter Emmanuel lief zwar durch, wurde aber in 2:10:54 nur Elfter und klagte über massive Muskelbeschwerden. Dabei war es insbesondere er, der Kimetto in Chicago und dann in Berlin zu Fabelzeiten und zum Weltrekord trieb.
Eliud Kipchoge gewann den London Marathon 2015. (c) H. Winter
Noch bevor der letzte der zwei Tempomacher seinen Dienst nach gut 25 km quittierte, lagen noch 6 Männer an der Spitze: Dennis Kimetto (akt. Weltrekordhalter), Wilson Kipsang (vorige Weltrekordhalter), Eliud KIpchoge (Sieger von Hamburg, Rotterdam und Chicago), Tilahun Ragassa (ETH), Sammy Kitwara (KEN) sowie Stanley Biwott (Vorjahreszweiter in London). Zwischen 30 km in 1:28:56 und 35 km in 1:44:02 – einem 5 km Abschnitt in nur 15:06 – verloren zunächst Kitwara und dann Regassa den Anschluss, der Kampf um den Sieg entwickelte sich als ein rein kenianisches Unterfangen.
Wie bei den Frauen spielte der Tunnel bei ca. 38 km eine vorentscheidende Rolle. Kipsang und Kipchoge setzten sich vom anderen Duo Kimetto und Biwott schnell ab und liefen bis 40 km nach 1:58:29 bereits einen Vorspung von 30 Sekunden auf den allerdings nicht ganz fir angetretenen Dennis Kimetto heraus. Dabei wurde das Rennen mit km-Abschnitten von 2:49 und 2:51 richtig flott. An der Spitze erhöhten Kipsang und Kipchoge das Tempo weiter, aber erst ca. 800 m vor dem Ziel konnte ich Kipchoge absetzen, wobei die beiden den Marker für den letzten km in 2:02:00 passierten.
Mit einem Lächeln im Gesicht, das kannte man schon von seinem Sieg in Chicago, war Kipchoge nicht mehr einzuholen und gewann in 2:04:42. Zum Kursrekord von Wilson Kipsang fehlten am Ende gerade einmal 9 Sekunden. Kipsang wurde diesmal Zweiter in 2:04:47. Damit konnte sich Kipchoge für die Niederlage im Duell mit Kipsang beim Berlin Marathon 2013 revanchieren, wo Kipsang mit 2:03:23 Weltrekord und Kipchoge – nach eigener Aussage – noch die Erfahrung im Marathon fehlte. Bemerkenswert war das Finish der beiden in 6:13 bzw. 6:17 von der 40 km Marke bis ins Ziel (beide Zeiten gehören mit zu schnellsten Abschnitten in der Geschichte des Marathons). Genau die gleiche Zeit hatte Kipsang übrigens bei seinem Sieg im letzten Jahr gelaufen, diesmal war aber jemand noch schneller. Und auch zu erwähnen bleibt der letzte km, den Kichoge in 2:41 herunterspurtete. Seine lange Karriere auf der Bahn lässt grüßen.
Vorjahressieger Wilson Kipsang wurde diesmal Zweiter. (c) H, Winter
Auf Platz 3 kam dann der aktuelle Weltrekordhalter Dennis Kimetto nach 2:05:50 ins Ziel, dann folgten Biwott, Regassa und Kitwara. Obwohl der Welt- und der Kursrekord verfehlt wurden, erbrachte London einige interessante statistische Fakten. Kipchogo rannte seinen fünften Marathon hintereinander unter 2:06, damit überholte er Haile, Geoffrey Mutai und Patrick Makau.
Und Wilson Kipsang kann gleichfalls beeindruckende Daten vorweisen. Mit einem Fünfermittel von 2:04:13 ist er der schnellste Mann der Szene und hat nun sechs Läufe mit Zeiten von unter 2:05 Stunden. Mit Kipchoge gibt es wieder einen Topstar der Szene, der erst nach einer großen Karriere auf der Bahn den Umstieg auf die Straße sehr erfolgreich vollzog. London dürfte mit Sicherheit nicht sein letztes Wort in Sachen schneller Zeiten gewesen sein. Ob sich ein Tempolauf schon im Herbst realisieren lässt, wird weitgehend von seiner und der Entscheidung des kenianischen Verbandes hinsichtlich eines Starts beim WM-Marathon im August in Beijing abhängen.
Weltrekordhalter Dennis Kimetto wurde Dritter. (C) H. Winter
In einer ersten Analyse des Rennens in London zeigt der Vergleich mit den letzten Marathonläufen in Berlin und Chicago 2014, dass man vermutlich den ersten Part etwas zu forsch begonnen hat. Wie die Grafik der projizierten Endzeiten als Funktion der Streckenlänge ausweist, war man bis fast 20 km im gleichen zeitliche Regime wie bei den beiden anderen Läufen, man verlor dann aber bis 35 km entscheidende Zeit. Das Finale war dann wieder WR-würdig.Und am Ende dieser Nachlese zu einer denkwürdigen Veranstaltung muss der Abschiedslauf der legendären Paula Radcliffe erwähnt werden, die ihren Erbinnen Standards vorgesetzt hat, an denen diese noch lange zu “beißen” haben werden. Auch nach dem diesjährigen Lauf deutet sich immer mehr an, dass Paulas Sensationslauf von 2003 eine Marke für die Ewigkeit geschaffen hatte. Paula nahm es diesmal “locker” und lief nach einem emotional bewegenden Finish mit 2:36 Stunden auch noch eine beachtliche Zeit. Mit Paula geht eine in allen Belangen großartige Athletin in den sportlichen “Ruhestand”. Danke Paula für dein großes Kämpferherz, deine große Fairness und deine unglaublichen Leistungen. Du warst und bleibst eine der ganz Großen!
Paula Radcliffe beendete mit einem emotionalen Finish nach 2:36 Stunden ihre einmalige sportliche Karriere. (c) H. Winter
Präsentiert wurde die gesamte Veranstaltung wieder in einer aufwenig produzierten Sendung der BBC, die in allen Belangen auch diesmal herausragend war und in Steve Cram, Brandon Foster und Jo Pavey Kommentatoren der Extraklasse aufbot. Ralf Scholt und seine Fritzen von der ARD sollten sich einmal anschauen, wie man einen Marathon mit allen seinen sportlichen Facetten überträgt. Dann stimmt nämlich auch wie von selbst die Quote. 3,2 Millionen Zuseher (35%) waren im Mittel bei der über 5stündigen Sendung dabei, fast 4 Millionen sogar im Maximum. Da kann man nur neidisch auf die Insel schauen.
Siegerin Tufa und Sieger Kipchoge beim Pressetermin am Tag nach dem Rennen mit der Tower Bridge im Hintergrund. (c) H. Winter
Ergebnisse der Frauen:
1. |
Tufa, Tigist (ETH) |
|
02:23:22 |
2. |
Keitany, Mary (KEN) |
|
02:23:40 |
3. |
Tsegaye, Tirfi (ETH |
|
02:23:41 |
4. |
Mergia, Aselefech (ETH) |
|
02:23:53 |
5. |
Kiplagat, Florence (KEN) |
|
02:24:15 |
6. |
Sumgong, Jemima (KEN) |
|
02:24:23 |
7. |
Jeptoo, Priscah (KEN) |
|
02:25:01 |
8. |
Felix, Ana Dulce (POR) |
|
02:25:15 |
9. |
Mazuronak, Volha (BLR) |
|
02:25:36 |
10. |
El Moukim, Rkia (MAR) |
|
02:26:33 |
11. |
Kiplagat, Edna (KEN) |
|
02:27:16 |
12. |
Lewandowska, Iwona (POL) |
|
02:27:47 |
13. |
Nukuri, Diane (BDI) |
|
02:27:50 |
14. |
Arkhipova, Tatyana (RUS) |
|
02:28:42 |
15. |
Aguilar, Alessandra (ESP) |
|
02:29:45 |
Splits der Eliteläuferinnen (nicht Tempomacher!):
5 km |
16:54 |
|
3:40, 3:19, 3:23, 3:17, 3:15 |
10 km |
33:22 |
16:28 |
3:19, 3:25, 3:12, 3:09, 3:23 |
15 km |
50:53 |
17:31 |
3:30, 3:27, 3:28, 3:30, 3:36 |
20 km |
1:08:06 |
17:13 |
3:21, 3:10, 3:31, 3:38, 3:23 |
HM |
1:11:43 |
|
|
25 km |
1:25:22 |
17:16 |
3:17, 3:26, 3:40, 3:16, 3:37 |
30 km |
1:42:36 |
17:14 |
3:29, 3:26, 3:28, 3:23, 3:28 |
35 km |
1:59:58 |
17:22 |
3:31, 3:25, 3:30, 3:33, 3:23 |
40 km |
2:16:11 |
16:13 |
3:23, 3:22, 3:11, 3:07, 2:10 |
Ziel |
2:23:22 |
7:11 |
3:16, 3:14 |
Ergebnisse der Männer:
1. |
Kipchoge, Eliud (KEN) |
02:04:42 |
2. |
Kipsang, Wilson (KEN) |
02:04:47 |
3. |
Kimetto, Dennis (KEN) |
02:05:50 |
4. |
Biwott, Stanley (KEN) |
02:06:41 |
5. |
Regassa, Tilahun (ETH) |
02:07:16 |
6. |
Kitwara, Samuel (KEN) |
02:07:43 |
7. |
Guerra, Javier (ESP) |
02:09:33 |
8. |
Kibrom, Ghebre (ERI) |
02:09:36 |
9. |
Reunkov, Aleksey (RUS) |
02:10:10 |
10. |
Lebid, Serhiy (UKR) |
02:10:21 |
11. |
Mutai, Emmanuel (KEN) |
02:10:54 |
12. |
Shelley, Michael (AUS) |
02:11:19 |
Splits der Eliteläufer (S. Hartnett):
5 km |
14:33 |
|
2:52, 2:56, 2:52, 2:55, 2:58 |
10 km |
29:14 |
14:41 |
2:54, 2:55, 2:56, 2:58, 2:58 |
15 km |
44:04 |
14:50 |
2:59, 2:57, 2:58, 2:59, 2:56 |
20 km |
59:02 |
14:58 |
2:59, 2:59, 2:57, 2:58, 3:05 |
HM |
1:02:19 |
|
|
25 km |
1:24:03 |
15:01 |
3:01, 2:58, 3:08, 2:56, 2:58 |
30 km |
1:28:56 |
14:53 |
2:57, 2:58, 2:58, 2:58, 3:02 |
35 km |
1:44:02 |
15:06 |
2:04, 2:56, 3:06, 3:01, 2:59 |
40 km |
1:58:29 |
14:27 |
2:56, 2:55, 2:56, 2:49, 2:51 |
Ziel |
2:04:42 |
6:13 |
1 km to go: 2:02:01 – last km 2:41 |