Haile Gebrselassie, einer der größten (Langstrecken-)Läufer aller Zeiten. (c) H. Winter
Eher als Randnotiz wurde im Umfeld des Great Manchester Run am Sonntag (10.5.2015) bekannt, dass die äthiopische Lauflegende Haile Gebrselassie eine lange und einmalige Karriere nun endgültig beendet hat. Der Ausnahmeläufer war selbst außerhalb der Laufszene derart bekannt, dass eigentlich nur sein Vorname “Haile” Verwendung fand. Aber auch seine Leistungen jenseits der Laufstrecken können sich sehen lassen, als sehr erfolgreicher Geschäftsmann und einflußreiche Persönlichkeit des öffentlichen Lebens in seinem Heimatland. Inweit er seine außergewöhnliche Popularität nun auch in politische Ambitionen umsetzt, wird die nahe Zukunft zeigen. Wünschenswert für sein Heimatland wäre es allemal.
Nach bescheidenen Jahren als Kind und der nicht unüblichen Basis seiner Laufkarriere eines langen Schulweges, der laufend zurückzulegen war, war der kleine Äthiopier schon im Juniorenbereich eine Ausnahmeerscheinung, der zu einer Zeit als die Langstrecken der Bahnleichtathletik noch im Fokus des Interesses standen, schnell in die Weltspitze aufstieg. Am 4. Juni 1994 – also vor über 20 Jahren – lief der damals 21jährige im niederländischen Hengelo mit 12:56,96 über 5000 m auf der Bahn seinen ersten Weltrekord, dem (etwa) 26 weitere globale Bestmarken folgen sollten. Unvergessen sind seine Duelle mit einer weiteren Lauflegende, dem Kenianer Paul Tergat, die im Jahr 2000 in dem denkwürdigen Finale über 10000 m bei den Olympischen Spielen im australischen Sidney gipfelten, wo Haile in einem Wimpernschlagfinish am Ende vorne lag und die Goldmedaille gewann. Vier Jaher zuvor hatte er schon in Atlanta in der gleichen Disziplin auch schon Gold gewonnen.
Seine mit großen Erwartungen verbundene Karriere als Marathonläufer verlief zunächst allerdings weniger reibungslos. Die Jagd nach dem Weltrekord seines Kontrahenten Paul Tergat, der im September 2003 mit 2:04:55 als erster Mensch unter 2:05 Stunden lief, erfuhr zunächst etliche Rückschläge. Sein Debut beim Amsterdam Marathon im Herbst 2005 ging er zu ungestüm an und wurde bei seinen 2:06:20 durch kräftigen Wind gebremst.
Im Januar 2006 dann sein erster Paukenschlag auf der Straße. Vermittelt durch den lengendären Mike Long (Elite Racing, San Diego) demonstrierte Haile erstmals die Rekordtauglichkeit der Wüstenregionen (im Winter) und lief in Tempe, Arizona (USA) mit 58:55 einen Weltrekord im Halbmarathon. Zwei Monate später sollte der nächste Rekord über 25 km folgen, doch die Zeit im Lauf im niederländischen Alphen aan Rijn von 1:11:37 konnte vor allem wegen diverser Randbedingungen des eigentlich auf 20 km angelegten Rennens keine Anerkennung finden. Mehr als eine Minute schneller als der damalige Weltrekord war die Zeit aber allemal.
Sein Auftritt im April beim London Marathon 2006 geriet im Regen mit 2:09:05 zu einer Enttäuschung, besser aber noch nicht in Rekordnähe verliefen dann sein erster Sieg in Berlin in 2:05:56 und zwei Monate später im eiskalten Fukuoka in 2:06:52. Das Jahr 2007 brachte dann zunächst den Ausstieg beim London Marathon, bevor er im September im zweiten Anlauf in Berlin mit 2:04:27 seinen ersten Marathon-Weltrekord lief.
Diesem sollte dann im Januar 2008 in Dubai der nächste folgen, doch nach einem (zu) schnellen Beginn mit 1:01:27 für die erste Hälfte, ging Haile in der aufkommenden Hitze am Ende etwas die Puste aus. Trotzdem schaffte er noch 2:04:53 und war damit der maßgebliche Initiator der einmaligen Erfolgsgeschichte des Marathons im Vereinigten Arabischen Emirat.
2008 lag Haile mit seinen Tempomachern bis kurz vor Schluss auf Weltrekordkurs beim Dubai Marathon. Dopppel-Weltmeister Abel Kirui (verdeckt hinter Haile) machte ihm bis 30 km das Tempo. (c) H. Winter
Nach seiner Absage des Olmypischen Marathons 2008, den Sammy Wanjiru sehr eindrucksvoll gewann, war Haile dann im September 2008 in Berlin bestens gerüstet und lief in einem perfekten Rennen in 2:03:59 als erster Mensch einen Marathon unter 2:04 Stunden. Die nächsten drei Auftritte waren dann nicht in Rekordnähe: Im Regen von Dubai 2009 (2:05:29), im Wind von Berlin 2009 (2:06:08) und nochmals in Dubai 2010 (2:06:09).
Haile und “Hasen” nach 20 km beim Berlin Marathon 2008. 22 km später hat der Meister als erster Mensch einen Marathon unter 2:04 Stunden absolviert. (c) H. Winter
Danach setzte in der Rückschau sein leistungsmäßiger Abstieg ein, der bereits nach seinem Ausstieg beim New York Marathon 2010 zu einem vorschnellen Rücktritt führte. Haile revidierte kurz danach seine Entscheidung, die ganz großen Erfolge (und Siege) sollten sich aber nicht mehr einstellen. Die Veränderungen zeigten sich spektakulär beim Berlin Marathon 2011, wo Haile das direkte Duell mit Patrick Makau durch seinen Ausstieg nach gut 30 km verlor. Der Kenianer lief durch, gewann und nahm Haile mit 2:03:23 seinen Weltrekord ab. Die Wachablösung des Ausnahmeläufers war damit vollzogen, die nächsten Rekorde liefen seine Erben Kipsang und Kimetto, die mittlerweile eine Minute schneller waren als der Ähiopier.
Haile, Patrick Makau und Tempomacher nach 15 km beim Berlin Marathon 2011. Haile stieg aus, Makau nahm ihm seinen Weltrekord. (c) H. Winter
Im Februar 2012 wollte sich Haile etwas unverständlich bei Eiseskälte in Tokyo noch für das äthiopische Olympiateam empfehlen. Bis 35 km sah das Unterfangen gut aus, dann ließen auf dem trostlosen Streckenstück im Schlusspart seine Kräfte nach, Platz 4 in 2:08:17 ersparten ihm die Reise im Sommer nach London. Sein Traum von einer olympische Medaille im Marathon konnte er sich somit nicht mehr erfüllen.
Im Herbst 2013 kam noch einmal Hoffnung auf, Haile hielt in dem denkwürdigen Finale mit Mo Farah und Kenenisa Bekele beim Halbmarathon des Great North Run lange mit und wurde erst in einem denkwürdigen Finale von den beiden wesentlich jüngeren Kontrahenten abgehängt. Im Dezember lief er dann seinen letzten Marathon im japanischen Fukuoka, den er aber nach der Wende bei 33 km aufgab. Er ging dann zwar nochmals an den Start eines Marathons, diesmal aber als (Edel-)”Hase” beim London Marathon 2014. Wer immer diesen Einfall hatte, gebracht hatte dies – abgesehen von erheblichem Interesse der Öffentlichkeit – eigentlich niemanden etwas. Durch ein viel zu hohes Tempo auf den ersten 5 km (der Marathon hat immerhin 42) brachte der Meister seine Jünger gewaltig als Limit und stieg schon kurz danach viel zu früh aus. Seine Klientel musste für das Höllentempo im zweiten Teil arg büßen.
Mit dieser Aktion, bei der er sich leicht verletzte, verpasste er vor allem seinen geplanten Angriff auf den Masters-Weltrekord beim Hamburg Marathon im April 2014. Es ist schon eine Ironie des Schicksals, dass dann ein Jahr später Haile als Ehrengast beim Turin Marathon miterleben musste, wie der der kenianische Senior Kenneth Mugara den Masters-Weltrekord über die Marathondistanz auf 2:08:44 steigerte.
Und gleiches ereignete sich nun auch beim Great Manchester Run, wo ihm im gleichen Rennen der US-amerikanische Senior Bernard Lagat in phenomänalen 27:48 seinen Weltrekord von 28:00 entriss. Haile wurde am Ende 16ter in30:05, seinen Anschied hatte er sich aber sicher etwas anders vorgestellt,
Haile als Ehrengast beim Dubai Marathon im Januar 2015 mit den äthiopischen Spitzenläufern, die die ersten drei Plätze errangen. (c) H. Winter
Somit verliefen die letzten Jahre seiner einmaligen Karriere nicht sehr glücklich. Dabei bleibt aber zu berücksichtigen, dass es bisher kaum einen Läufer gab, der ununterbrochen über mehr als 20 Jahre in der Weltspitze agierte. Aber es waren nicht nur die unglaublichen läuferischen Fähigkeiten, die Haile so einmalig machten. Seine Fröhlichkeit, sein immerwährendes Lächeln waren nicht aufgesetzt, jeder der ihn etwas näher kennenlernen konnte, hat das schnell feststellen können. Dazu kam eine soziale Verantwortung für sein Heimatland, mit der er als Geschäftsmann viele seiner Landsleute in Arbeit und Brot brachte.
Vermissen wird man auch sein bemerkenswerten Auftritte in den Pressekonferenzen, in denen er sehr schlagfertig auf alle Anmerkungen und Fragen einging. Sein Mentor und Manager Joes Hermens hatte sich frühzeitig bemüht, dem Superstar neben dem Training auch fundierte Kenntnisse der englischen Sprache zu vermitteln. Haile war auch hier ein Phänomen.
Beim Dubai Marathon vor einigen Jahren auf die Bankenkrise und seine Geschäfte angesprochen, antwortete Haile sehr schlagfertig: Wenn er läuft ist er “happy”. Die Bankmanager sollten mit dem Laufen anfangen, dann werden sie bestimmt auch bald “happy” sein …
Haile, laufe weiter (wenn auch nicht mehr im Wettstreit), sei “happy” und habe Erfolg an allen Fronten deiner Engagements, geschäftlich aber vielleicht auch bald politisch. Und nochmals Dank für unvergessliche Jahre auf den Bahnen und Straßen dieser Welt. Du warst (und bist) in der Tat EINMALIG!