Der Kenianer Wilson Kipsang gewann in der Weltklassezeit von 2:03:58 den Tokyo Marathon. Damit verpasste er zwar den im Vorfeld angekündigten Weltrekord um fast genau eine volle Minute, schaffte aber mit dieser Leistung in den Straßen der japanischen Hauptstadt bereits seine vierte Zeit unter 2:04 Stunden. Der Sieger zeigte sich mit seiner Leistung im Siegerinterview sehr zufrieden und führte den gescheiterten Angriff auf den Rekord auf den Wind im zweiten Teil des Rennens zurück. Auch bei den Frauen gab es durch Sarah Chepchirchir (KEN) mit 2:19:47 eine Weltklassezeit, die ihre Bestzeit von 2:24:13 sehr deutlich steigern konnte.
Dass es Wilson Kipsang mit seiner Ankündigung auf der Pressekonferenz mit einer Zeit von 2:02:50 Ernst meinte, wurde schon auf den ersten Kilometern deutlich. Die fünf (!) Tempomacher Alfonce Kigen, Barselius Kipyego, Cosmas Birech, Albert Kangogo sowie Nicholas Korir legten sich schon auf dem ersten km in 2:46 bei fast idealen äußeren Bedingungen (ca. 10°C, wenig Wind, negativer Taupunkt) mächtig ins Zeug. Bei 5 km in 14:14 waren noch 7 Topathleten bei den Tempomachern. Überraschend lag hier der Frontläufer Tadese Tola (ETH) 5 Sekunden zurück (stieg nach der Hälfte aus) und Geoffrey Ronoh, der eigentlich als versteckter Tempomacher wie im letzten Jahr in Berlin erwartet wurde, brauchte 14:31 und lag damit weit hinter der Spitze (belegte am Ende in 2:11:20 Platz 17).
Wie hoch das Tempo vorne war, ersieht man an der Tatsache, dass nur Sammy Wanjiru beim London Marathon im Jahr 2009 in 14:08 einmal schneller war und dass man auf Kurs zu einer Zeit von 2:00:07 lag, also im Regime eines “2-Stunden-Marathon”. Einschränkend muss man allerdings anmerken, dass der Kurs nach dem Start im Stadtteil Shinjuki auf den ersten 5 km um etwa 40 m an Höhe verliert. Insgesamt ist die Strecke zwar regelkonform (1 m Höhenverlust pro km), aber dies relativiert etwas die schnellen Zeiten in der Anfangsphase und macht auch die deutlich langsameren Segmente im Schlusspart umso verständlicher.
An dieser Konstellation änderte sich bis 10 km in 28:50 wenig, 14:36 brauchte man für diesen 5 km-Abschnitt. Tsegaye Kebede (ETH), der etwas vermessen eine Zeit von 2:03:50 für sich vorhersagte, war hier als weiteres prominentes Opfer aus der Spitze heraus gefallen und wurde vom jungen Japaner Yuta Shitara eingeholt, der sich in seinem ersten Marathon bei 10 km in 29:12 auf Kurs weit unter dem Landesrekord befand.
An der Spitze wurde das Tempo etwas moderater, aber mit Splits von 43:34 bei 15 km und 58:05 bei 20 km befand man sich beim Halbmarathon in 1:01:22 immer noch auf Weltrekord-Kurs. Neben drei Tempomachern waren noch 5 weitere Männer an der Front, die sich anschließend weiter reduzierte. Nach 25 km in 1:12:47, das ist nach Eliud Kipchoges Split in London von 1:12:39 im letzten Jahr die schnellste Durchgangszeit an diesem Punkt bei einem Marathon, dünnte die Spitze weiter aus und der Tempomacher Nicholas Korir führte Wilson Kipsang, Dickson Chumba sowie – etwas überraschend – den Äthiopier Solomon Deksisa nach 1:27:27 zur 30 km Marke. Mit dieser Zeit befand man auf einer Endzeit von exakt 2:03 Stunden und hatte damit den Vorsprung auf den Weltrekord von Dennis Kimetto von 2:02:57 aufgebraucht.
Nach 35 km konnte sich Kipsang von Chumba lösen, kurz vor 37 km war sein Vorsprung bereits beachtlich angewachsen. (C) NTV-Screenshot
Kurz vor 35 km zog Kipsang das Tempo an (das hat bei ihm schon fast renntaktische Tradition) und setzte sich von Chumba ab. Sein Split war 1:42:27, womit er mit einem letzten 5 km-Abschnitt von glatten 15 Minuten mit einer Projektion von 2:03:31 erstmals deutlich über die Zeit des Weltrekords rutschte. Da er auch auf dem kommenden 5 km-Segment in 15:02 (40 km in 1:57:29) das Tempo nicht mehr steigern konnte, war hier der Weltrekord nicht mehr zu schaffen. Dafür war mit einem schnellen Finale – und da ist Kipsang durchaus ausgewiesen – eine Zeit unter 2:04 Stunden noch möglich.
Und in der Tat, als Kipsang vor der historischen Tokyo Station auf die Zielgerade bog, bewältigte er den Schlusspart ab 40 km in 6:29 Minuten und passierte das Ziel nach großartigen 2:03:58. Damit blieb er sehr deutlich unter dem Kursrekord von 2:05:42, dem japananischen All Comers Rekord von 2:05:18 und auch der schnellsten Zeit auf asiatischem Boden, die erst im Januar in Dubai durch Tamirat Tola (ETH) mit 2:04:11 aufgestellt wurde. Es versteht sich fast von selbst, dass Kipsangs Siegerzeit auch eine neue Jahres-Weltbestzeit ist, an der sich nun im April in London Kenenisa Bekele messen lassen wird.
Wilson Kipsang gewann den Tokyo Marathon in schnellen 2:03:58. (c) NTV-Screenshot
Mit deutlichem Rückstand von fast zwei Minuten wurde Gideon Kipketer (KEN) Zweiter in 2:05:51, nachdem er kurz hinter der 40 km-Marke Dickson Chumba noch passieren konnte, der seinerseits in 2:05:03 so eben den dritten Platz absichern konnte. Dann folgten Evans Chebet in 2:06:42 und Alfers Lagat in 2:07:39 auf den folgenden Plätzen. Wie stark eine für die meisten Athleten überzogene Tempojagd auf der ersten Hälfte das Ergebnis am Ende beeinflusst, zeigt ein Blick auf die Splits für die beiden Hälften, die für die Erstplatzierten – mit Ausnahme von Kipsang – im zweiten Part eigentlich indiskutabel waren. Aber das ist augenscheinlich der Preis, den man für eine solche Tempogestaltung zu bezahlen hat. Die Tatsache ist aber nicht erst seit dem heutigen Tokyo Marathon bekannt. Die ins projizierten Zeiten als Funktion der Distanz vom Tokyo Marathon 2017 im Vergleich mit dem Weltrekord beim Berlin Marathon 2014. Eine sehr unterschiedliche (Tempo-)Gestaltung der beiden Rennen ist unverkennbar. (c) H. Winter
In Sachen Weltrekord bleibt noch anzumerken, dass bei aller Hochachtung der grandiosen Leistung von Kipsang man diesen deutlich verfehlen muss, wenn man die letzten 5 km-Segmente in nur noch 15 Minuten läuft (2:06:35 Tempo). Der Split auf den ersten 10 km hätte locker ausgereicht, aber ein Marathon ist eben nicht die unabhängige Addition von Teilstrecken. Auch dies ist nicht erst seit gestern ein triviales Faktum.
Finish | 1. Hälfte | 2. Hälfte | ||
1. | Kipsang | 2:03:58 | 1:01:22 | 1:02:36 |
2. | Kipketer | 2:05:51 | 1:01:22 | 1:04:29 |
3. | Chumba | 2:06:25 | 1:01:22 | 1:05:03 |
4. | Chebet | 2:06:42 | 1:01:22 | 1:05:20 |
5. | Lagat | 2:07:39 | 1:01:35* | 1:06:04 |
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In die Veranstaltung waren die japanischen Meisterschaften und die WM-Qualifikation für das Marathon WM-Team eingebunden. Der junge Yuta Shitara (JPN) ließ sich von der Tempojagd an der Spitze anstecken und legte in seinem Debüt enorm los. Spätestens beim Halbmarathon in 1:01:55 sorgte sein Rennen für Irritation. Konnte diese Tempojagd gut gehen? Bis kurz vor 35 km in 1:45:09 lag er noch im Regime des Landesrekords, dann waren seine Energien verbraucht und für die kommenden 5 km brauchte er 16:41.
Damit verspielte er eine Topzeit und auch seine Führung im inner-japanischen Ranking, denn sowohl Hiroto Inoue als auch Hiroyuki Yamamoto zogen an ihm vorbei. Inoue lief 2:08:22 und dürfte damit die Fahrkarte zur WM im August in London gebucht haben. Nahezu delikat war die Zeit vom zweitbesten Japaner Yamamoto, der mit 2:09:12 genau eine Sekunde langsamer war als Yuki Kawauchi in Fukuoka. Jetzt wird alles vom Ausgang des letzten Qualifikationsrennens am kommenden Sonntag beim Biwako in Otsu abhängen, wer Japan bei der WM vertritt. Ein völlig erschöpfter Shitara war nach 2:09:27 im Ziel, und auch Yuma Hattori blieb mit 2:09:46 unter 2:10 Stunden. Betrachtet man noch vier weitere japanische Läufer unter 2:13, so kann man der japanischen Marathonszene einen sichtbaren Aufwärtstrend attestieren. Das enorme Potential im Nachwuchsbereich scheint gut drei Jahre vor Olympia Früchte zu tragen. Dazu gehört dann vielleicht auch, dass 42 Läufer – weitgend aus Japan- unter 2:18 Stunden blieben.
Für ein weiteres Glanzlicht sorgte bei den Frauen Sarah Chepchirchir (KEN), die bis 30 km in 1:40:26 zusammen mit Birhane Dibaba und Amane Gobena (beide ETH) knapp unter einer Zeit zum Streckenrekord lag (Halbmarathon in 1:10:31). Danach verfügte sie aber noch über erhebliche Reserven und setzte sich mit einem 5 km-Abschnitt in flotten 15:46 von den beiden Mitstreiterinnen ab. Als sie mit einem Vorsprung von über einer Minute 40 km nach 2:12:35 passierte, wurde klar, dass die Kenianerin sogar unter der Schallmauer von 2:20 Stunden bleiben konnte.
Sarah Chepchirchir sorgte mit einer Zeit von unter 2:20 Stunden für ein weiteres Glanzlicht in Tokyo. (c) H. Winter
So kam es dann auch, Chepchirchir lief mit 2:19:47 Streckenrekord und Weltjahresbestleistung. Sie ist die 16. Läuferin, die unter dieser Grenze zur absoluten Weltklasse blieb. Die Schwägerin der Olympiasiegerin Jemima Sumgong hatte damit eine beachtliche Steigerung in ihrer kurzen Karriere mit drei Marathonläufen vollzogen: 2:30:08 in Hamburg im Jahr 2016, 2:24:13 in Lissabon in 2016 und 2:19:47 in Tokyo in 2017.
Platz 2 ging an Birhane Dibaba in 2:21:19, das war für sie persönliche Bestzeit, und Dritte wurde Amene Gobena in 2:23:09. Danach musste man dann bei dem in der Leistungsbreite weniger starken Elitefeld der Frauen einige Zeit warten, bevor die wenig bekannte Ayaka Fujimoto (JPN) in 2:27:08 das Ziel erreichte. Die Ehefrau von US-Marathonstar Ryan Hall, Sara Hall, schaffte als Sechste in 2:28:26 einen Hausrekord.
Somit fiel die Bilanz der Organisatoren in allen Belangen positiv aus. Die neue Strecke hat gleich bei der Premiere zu einem Leistungsschub geführt, der den Tokyo Marathon in der internationalen Marathonszene ein gutes Stück nach vorne bringt. War man bisher aus kommerziellen Gründen ein gern gesehener Partner im Pool der Abott World Marathon Majors, hat man nun auch leistungsportlich den Anschluss an die Weltspitze geschaft. Das Mittel der zehn schnellsten Zeiten ist für den Tokyo Marathon von 2:06:30 auf 2:06:01 hochgeschnellt, womit man sich im internationalen Ranking von Platz 11 auf 9 verbessern konnte.
Für die World Marathon Majors scheint sich damit leistungssportlich eine Zweiklassen-Gesellschaft zu entwickeln. Toyko hat nun den Anschluss an Berlin und London gefunden, die US-Rennen in New York City, Boston (sowieso nicht regelkonform) und Chicago hinken aktuell gewaltig hinterher. Übrigens liegt in der World Marathon Majors Serie X, die in Boston Mitte April endet – eine Wertung, die kaum jemand verfolgt und die außer Athleten (und Manager) niemanden interessiert -, Eliud Kipchoge bei den Männern sowie Jemima Sumgong bei den Frauen mit jeweils 50 Punkten vorne mit besten Aussichten auf 500.000 US$ Preisgeld.
Von 35378 Läufern am Start erreichten 33959 den Zielbereich, der unvergleichlich attraktiver als die fürchterliche Einöde um das Messezentrum “Big Site” war. Das ist eine Quote an Finishern von 96%. Mit 7700 Frauen sind diese in Tokyo aber schwächer vertreten als bei vielen anderen Läufen auf der Insel.
Ergebnisse Marathon der Männer: | ||
1. | Wilson KIPSANG | 2:03:58 |
2. | Gideon KIPKETER | 2:05:51 |
3. | Dickson CHUMBA | 2:06:25 |
4. | Evans CHEBET | 2:06:42 |
5. | Alfers LAGAT | 2:07:39 |
6. | Bernard Kiprop KIPYEGO | 2:08:10 |
7. | Yohanes GHEBREGERGISH | 2:08:14 |
8. | Hiroto INOUE | 2:08:22 |
9. | Tsegaye KEBEDE | 2:08:45 |
10. | Hiroyuki YAMAMOTO | 2:09:12 |
11. | Yuta SHITARA | 2:09:27 |
12. | Solomon DEKSISA | 2:09:31 |
13. | Yuma HATTORI | 2:09:46 |
14. | Masato IMAI | 2:11:02 |
15. | Takuya NOGUCHI | 2:11:04 |
16. | Yuki TAKAMIYA | 2:11:05 |
17. | Geoffrey RONOH | 2:11:20 |
18. | Yuki NAKAMURA | 2:12:58 |
19. | Akihiko TSUMURAI | 2:13:27 |
20. | Ryo HASHIMOTO | 2:13:29 |
Die Splits von Wilson Kipsang: | ||
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5km | 14:15 | |
10km | 28:50 | 14:35 |
15km | 43:34 | 14:44 |
20km | 58:05 | 14:31 |
HM | 1:01:22 | |
25km | 1:12:47 | 14:42 |
30km | 1:27:27 | 14:40 |
35km | 1:42:27 | 15:00 |
40km | 1:57:29 | 15:02 |
Finish | 2:03:58 | 6:29 |
Ergebnisse Marathon der Frauen: | ||
1. | Sarah CHEPCHIRCHIR | 2:19:47 |
2. | Birhane DIBABA | 2:21:19 |
3. | Amane GOBENA | 2:23:09 |
4. | Ayaka FUJIMOTO | 2:27:08 |
5. | Marta LEMA | 2:27:37 |
6. | Sara HALL | 2:28:26 |
7. | Madoka NAKANO | 2:33:00 |
8. | Kotomi TAKAYAMA | 2:34:44 |
9. | Hiroko YOSHITOMI | 2:35:11 |
10. | Mitsuko INO | 2:39:33 |
Die Splits von Sarah Chepchirchir: | ||
---|---|---|
5km | 16:39 | |
10km | 33:20 | 16:41 |
15km | 50:06 | 16:46 |
20km | 1:06:46 | 16:40 |
HM | 1:10:31 | |
25km | 1:23:35 | 16:49 |
30km | 1:40:26 | 16:51 |
35km | 1:56:12 | 15:46 |
40km | 2:12:35 | 16:23 |
Finish | 2:19:47 | 7:12 |