Mit Ende des Jahres 2014 wurde ein Projekt abschlossen, das neun Jahre zuvor begonnen wurde und die möglicht genaue (!) Vermessung einer 10 km langen Teststrecke mittels eines auf einem Fahrrad montierten GPS-Systems zum Ziel hatte. Die 10 km lange Strecke aus dem südlichen Berliner Umland (Eichwalde) zum Berliner Wissenschaftsstandort Adlershof (“Eichwalde-Adlershof-Projekt”) wurde in Richtung Eichwalde-Adlershof fast 1000mal vermessen und die Daten nach Jahren zusammengefasst einer statistischen Analyse unterzogen. Das Ergebnis der umfangreichen Untersuchungen ergab eine gut definierte Verteilung der jeweils gemessenen Streckenlängen, die recht befriedigend durch eine Gauß-Verteilung beschrieben und analysiert werden konnte. Als wichtigstes Resultat der Analysen ergab sich eine Standardabweichung der Verteilung von ca. 2 m für eine totale Streckenlänge von 10000 m, d.h. eine relative Streuung der Daten von ca. 0,2 Promille. Die Abweichung vom Mittelwert der vermessenen Strecke lag im Regime weniger 10 cm.
Einfache metrologische Fakten
Die Vermessung von Strecken im Zusammenhang mit dem Laufsport wird vielfach in diversen Medien diskutiert. Vom metrologischen Standpunkt muss dazu angemerkt werden, dass in diversen Aspekten die einfachsten Zusammenhänge der Erfassung und Auswertung von Daten nicht korrekt oder missverständlich dargestellt werden. Dies beginnt schon mit der nicht nur semantischen Verwirrung der Begriffe “Präzision” und “Genauigkeit“. Die präzise Vermessung einer Streckenlänge ist sicher wichtig, ist aber nur eine notwendige Bedingung, die nicht hinreichend ist. Denn Präzision bezieht sich auf die intrinische Streuung der Daten, womit sich noch keine Streckenlänge verlässlich angeben lässt. Denn jede Messung einer Länge ist nur dann aussagekräftig, wenn diese gegen einen Standard erfolgt. Und das ist das “METER” (Nebenbemerkung: Da Zeiten auf atomarer Basis extrem genau gemessen werden können – aktuell besser als 2 x 10⁻¹⁵ – ist die Lichtgeschwindigkeit als feste Größe definiert und die Länge (in Metern) erfolgt aus einer Laufzeitmessung an einem (aufgeweiteten) Laserstrahl). Somit ist für die Streckenvermessung immer Genauigkeit gefordert, d.h. eine Messung bezogen auf einen Standard.
Vermessung mit einem GPS-System
Diese Forderung hat tiefgreifende Konsequenzen bezüglich der Vermessung, die immer gegenüber einem Standard erfolgen muss. In der aktuell weit verbreiteten Messung von Laufstrecken mittels eines am Fahrrad montierten Zählers (z.B. mechanischer Zähler im Design des “Jones-Counters”) muss das System gegenüber einer Referenzstrecke als Standard verglichen und geeicht werden. Variation des Reifendrucks, etc. führt zu nicht zu tolerierenden Abweichungen und erfordert den steten Abgleich des Zählers mit einer Referenz. In dem hier beschriebenen Projekt wurde auf diesen Abgleich verzichtet, und die intrinsische Genauigkeit (!) eines handelsüblichen Einkanal-GPS (GARMIN GPSmap 76c) genutzt. Die Erfahrungen der Messungen über fast 10 Jahre haben ein sehr konsistentes Bild der Ergebnisse erbracht, die in der Tat eine für die Anwendung im Laufsport ausreichend genaue Messung von Wegstrecken mit dieser Methode erlaubt.
In dem Projekt kam das GARMIN Gerät GPSmap 76C zum Einsatz, das u.a. auch differentielle Features, wie EGNOS oder WAAS, bietet. Auf dem Display ist der Empfangmodus des Geräts zu erkennen. Aktuell werden Signale von 9 GPS-Satelliten empfangen, die absolute (!) Position wird neben den Koordinaten links oben mit besser als +- 1m Genauigkeit angegeben.
Beim Einsatz eines GPS-Geräts sind unbedingt einige Applikationshinweise zu beachten, die für einen angemessenen Einsatz der Methode unerlässlich sind. Die Genauigkeit der Bestimmung der Koordinaten eines Ortes erfordert eine extreme Stabilität der “Uhr” der GPS-Einheit, die nur mit atomaren Standards sicher zu stellen sind. Deshalb muss für eine Messung mittels eines GPS-Empfängers das System überbestimmt sein, d.h. möglichst viele Satelliten sollten empfangen und ausgewertet werden.
1.) Dies setzt voraus, dass in Einzelfällen mehr als 10 Minuten gewartet werden muss, bevor ein Messzyklus gestartet werden kann. Dabei ist ein Minimum von 5 bis 6, besser aber eine noch höhere Zahl von Referenzsignalen unerlässlich. Geduld ist somit eine wichtige Eigenschaft bei der Nutzung von GPS. Es zeigte sich, dass ein zu frühes Starten einer Messung durch das zusätzliche Auffinden von Satelliten während der Fahrt zu kritischen Abweichungen führen kann.
2.) Der Einsatz des differentiellen Modus des GPS – was mit dem eingesetzten System möglich war – ist zunächst ein Vorteil bei der absoluten Bestimmung von Ortskoordinaten. Dazu wird wegen Laufzeitverschiebungen in der Ionosphäre die Information geostätionärer Satelliten ausgewertet, die in unseren Breiten nahe am Horizont stehen und der Empfang deren Sinale deshalb nicht stabil ist. Da für Längenmessungen Differenz-Messungen ausreichen, kann man – so belegen auch die Erfahrungen in diesem Projekt – auf den differentiellen GPS-Modus hier verzichten. Die Veränderung absoluter Koordinaten verläuft mit Zeitkonstanten, die Streckenmessungen mit dem Fahrrad nur gering tangieren.
Die Genauigkeit der Ortsbestimmung mittels GPS ist für Streckenvermessungen völlig ausreichend. Und dies gilt auch auf absoluter Skala. Mittels einer EGNOS-Korrektur wurden bekannte Koordinaten im Raum Ostwestfalen-Lippe mit einer Abweichung von weniger als 70 cm bestätigt. Auf der Basis dieser Messungen kann eine ausreichende Genauigkeit des GPS als (absolutes) Referenzsystem vorausgesetzt werden.
Die Strecke Eichwalde – Adlershof
Die Strecke hat eine Länge von 10 km, deren Referenzpunkt am Ende nach einigen zehn Messungen festgelegt wurde. Fast zufällig markierte im Rahmen der Unsicherheit der gesamten Messreihe der Endpunkt eine Streckenlänge von 10.000 Metern.
Ansicht der vollständigen Strecke von Eichwalde nach Adlershof. (c) Google Earth
Ansicht des ersten Kilometer der Strecke nach dem Start in Eichwalde. (c) Google Earth
Der Start erfolgt in der Bahnhofstraße in Eichwalde (Brandenburg), bevor nach ca. 600 m Berliner Stadtgebiet erreicht wird.
An der markierten Stelle beginnt die Strecke in Eichwalde. (c) H. Winter
Nach gut 900 m verlässt die Strecke das Siedlungsgebiet und passiert auf dem Radelander Weg ein 3 km langes Waldstück. Während höhere Gebäude im gesamten Verlauf fehlen, ist die leichte Signalabschattung durch hoch gewachsene Bäume ein Problem für GPS-Messungen, wie es sich vor allem in den ersten Jahren 2006 bis 2008 darstellte und auch in der Auswertung deutlich zu erkennen ist. Eine Signalerhöhung der Satellitensignale im Zeitrahmen 2008/2009 führte zu signifikant besseren Resultaten auf diesem Streckensegment.
Nach einem Segment von gut 1 km wird im Wald auf dem Radelander Weg die 2 km erreicht (Marke virtuell rot markiert). (c) H. Winter
Nach fast genau 4 km ereicht die Strecke das Adlergestell, die Haupftverbindungsstraße von Berlin-Grünau nach Schmöckwitz. Hier befindet sich auch die 4 km Kontrollmarke.
Die 4 km Marke an der Ecke Adlergestell Tagore Straße. (c) H. Winter
Nun folgt der Streckenverlauf dem Radweg nach Berlin-Grünau, wo die 5 km erreicht werden. Von Straßenarbeiten befindet sich eine Markierung “700” auf dem Radweg, die als Kontrollmarke für die 5 km dienen. Zeigte an dieser Stelle die aktuelle Wegstrecke eine Abweichung von über 10 m wurden die Messungen hier abgebrochen. Solche Fälle wurden aber nach den ersten drei Jahren immer seltener. Messungen, die in die Auswertungen aufgenommen wurden, ergaben an dieser Marke eine konsistente Länge.
Die 5 km Marke auf dem Radweg parallel zum Adlergestell.
Die 6 km Marke auf dem Radweg am Ortsausgang Grünau nach Berlin-Adlershof. (c) H. Winter
Nach Verlassen von Grünau geht es in nördlicher Richtung auf dem Radweg nach Berlin-Adlershof, wo sich die 7 km und 8 km Marken befinden.Am Ortseingang nach Berlin-Adlershof befindet sich die 8 km Marke. (c) H. Winter
Nach 8060 m ist am Glienicker Weg eine von zwei Unterführungen auf der Strecke zu passieren. (c) H. Winter
Nach 8020 m biegt die Strecke nach Westen auf das Ernst-Ruska-Ufer ab und erreicht den Wissenschaftsstandort Berlin-Adlershof. Hier befindet sich eine Unterführung unter einer Bahntrasse, die zu einer partiellen Abschirmung einiger GPS-Satelliten führt. Diese Beeinträchtigung der Signalqualität ist aber nur von sehr kurzer Länge und beeinträchtigte die finalen Messungen kaum.
Die 9 km werden an einem Gully auf dem Campus Adlershof erreicht. (c) H. Winter
Der Rest der Strecke verläuft auf dem Campus Adlershof und endet nach Kreuzen der Rudower Chaussee in der Brook-Taylor-Straße vor dem Ernst-Schrödinger-Zentrum der HU. Als (willkürliche) Referenz dient die Mittenposition eines Gullies am rechten Straßenrand.Endpunkt der 10 km Strecke vor dem Ernst-Schrödinger-Zentrum auf dem Campus Berlin-Adlershof. Die Mitte des Gullies am rechten Straßenrand markiert die Referenz für alle Messungen. (c) H. Winter
Ansicht des letzten Teils der Strecke auf dem Campus Adlershof. Links unten ist der Elektronenbeschleuniger BESSY II zu erkennen. (c) Google Earth
Die Messungen, deren Auswertungen sowie statistische Analysen
Die Messungen der Streckenlänge wurden mit einem Garmin GPS76C in einem akkumulierenden Modus durchgeführt, bei dem die zurückgelegte Länge stets im Display des Geräts abzulesen war. Somit war auch die Kontrolle bei den Zwischenmarken (vor allem bei 5 km) gegeben. Im Zielbereich wurde relativ auf die willkürlich definierte Streckenlänge von 10.000 m in Segmenten von 2 m Länge die Ereignisse registriert, wenn die Anzeige des GPS-Geräts exakt 10 km erreichte. Über jeweils ein volles Jahr wurden die Ereignisse, die in die jeweiligen Segmente fielen, akkumuliert und anschließend ausgewertet.
In den folgenden Graphen sind Beispiele dieser Messungen aus den Jahren 2006/7, 2008, 2011, 2013, 2014 dargestellt. Im Oktober 2014 wurde das Projekt abgeschlossen, nachdem nahezu 1000 gültige Messungen erfasst worden waren. Bei den Häufigkeits-Verteilungen fällt sofort auf, dass generell die Breiten der Verteilungen mit wenigen Metern unerwartet gering waren. Dabei ist anzumerken, dass nach dem Jahr 2008 die Verteilungen signifikant definierter wurden, was auf die Anhebung der Intensität der Signale der GPS-Satelliten zurückzuführen ist. Die deutlich gesteigerte Erhöhung der Signale gegenüber dem Grundrauschen führte zu erheblich geringeren Verlusten von einzelnen GPS-Trägern und damit zu stabilieren Daten. In den letzten Jahren der Untersuchungen betrug die volle Halbwertsbreite der Häufigkeitsverteilungen nur noch ca. 4 Meter.
Die Verteilungen der gemessenen Streckenlängen (bezogen auf den Referenzpunkt) wurde mit einer Gauß-Funktion beschrieben und nach der Methode eines Least-Squares-Fit an die Daten angepasst. Das daraus folgende Maximum der Gauß-Verteilung (faktisch der Mittelwert der Daten) ist als Funktion des Jahres der Messung in nachstehender Grafik aufgetragen. Die Fehlerbalken repräsentieren die Untersicherheiten bezogen auf das Maximum (bzw. Mittelwert). Eine essentielle Größe in der Metrologie stellt die Varianz einer Verteilung dar, die durch die Breite der Gauß-Verteilungen bei den 1/e-Werten definiert ist und die Güte einer Messung wertet. Die Varianzen der Verteilungen der Meßdaten sind in der folgenden Grafik als Funktion des Jahres aufgetragen. Man erkennt, dass sich diese Größe nach den ersten drei Jahren der Messungen (2006 – 2008) in etwa halbiert und in den letzten Jahren im Bereich von 1,5 Metern lag.In der nächsten Grafik sind die Aussagen der zwei vorhergehenden Bilder kombiniert, und die Unsicherheit der (gemittelten) Streckenlänge durch die Varianz repräsentiert. Die Relevanz dieser Darstellung der Ergebnisse ist darin begründet, als die Varianz unmittelbar eine statistische Interpretation der Meßreihen erlaubt, die auf der Fläche unter der Gauß-Kurve basiert. Daraus ergibt sich die aus der Statistik wichtige Folgerung, dass für eine Normalverteilung innerhalb der Bandbreite der Varianz 68,3 % aller Meßwerte liegen (sollten). Bei der doppelten Varianz sind das schon 95,5 %, innerhalb der dreifachen Varianz hat man mit 99,7 % fast absolute Gewissheit.
Welchen Schlüsse kann man aus den hier vorgestellten Messungen ziehen?
Ein sicherlich bemerkenswertes Resultat der Daten ist die geringe Varianz im Bereich von Metern, was auf eine hohe Präzision des zum Einsatz kommenden Messverfahrens schließen lässt. Dabei ist es nicht nur die Längenmessung durch eine GPS-Einheit sondern auch die Streuung der Daten durch Abweichungen beim Einhalten der Sollstrecke mit dem Fahrrad. Augenscheinlich liegen diese Unsicherheiten im Regime von Metern und erlauben damit eine Genauigkeit (!) in der (Lauf-)Streckenvermessung, die hohen Anforderungen genügt. Dazu merken wir am Ende dieses Beitrag noch ein kurzes geometrisches Paradoxon an.
Mit dem hier angewendeten Verfahren sollte sich auf der Basis der vorliegenden Analyse eine Strecke von 10 km mittels eines Mittelklasse-GPS-Systems durch 3 bis 5 Messungen mit einer Genauigkeit von etwa +- 3 m reproduzieren lassen. Erhöht man die Anzahl der Messungen wird die Unsicherheit des Mittelwertes entsprechend geringer und kann in den Bereich von einem Meter gesenkt werden. Sichere Aussagen mit einem so geringen Fehler erfordern aber Messreihen, die einige 10 (Einzel-)Messungen erfordern und entsprechend aufwendig sind. Wünschenswert sind diesbezüglich dann natürlich Messserien, die mit den hier vorgestellten Reihen vergleichbar sind, d.h. ca. 100 (Einzel-)Messungen oder mehr umfassen.
In den Vorgaben des internationalen Verbands (IAAF) hinsichtlich Streckenvermessungen mit der “Calibrated Bicyle Method” wird ein “short course prevention factor” von 0,1% gefordert (“The measurement of road race course”, Second edition 2004, IAAF). D.h. um Sicherheiten gegenüber einer zu kurzen Strecke zu haben, wird bei jedem km (schon bei der Kalibrierung des mechanischen Jones Counters) ein Meter hinzuaddiert. Eine 10.000 m lange Strecke ist dann bei perfekter Kalibrierung 10.010 m lang, eine Marathonstrecke hat sogar 42 m zu viel. Die hier vorgestellten Messungen legen nahe, dass mit entsprechendem Aufwand dieser Faktor um mehr als die Hälfte reduziert werden könnte. Eine weitergehende Diskussion zu dieser Thematik ist sicher sehr interessant und wichtig.
Die Magie des Satzes von Pythagoras
Ein zunächst überraschender Befund ist die geringe Streuung der Messdaten um den Mittelwert, wie es durch die Varianz respäsentiert wird. Dies ist auf den ersten Blick erstaunlich, da jede Messung das Abfahren einer 10 km langen Distanz erfordert und trotzdem die Schwankungen der gemessenen Strecken im Bereich von Metern liegen. So dürfte es jedem Radfahrer geläufig sein, dass es nicht einfach ist, eine vorgegebene Spur recht exakt einzuhalten. Eine in wesentlichen Teilen schlüssige Erklärung für die geringe geometrische Streuung der Daten ist mit einer Eigenschaft verbunden, die sich am einfachsten am rechtwinkligen Dreieck mit Hilfe des Satzes von Pythagoras erklären lässt, der von der Schulmathematik allgemeines Grundwissen darstellt.
Der Satz von Pythagoras besagt, dass die dem rechten Winkel gegenüber liegende Seite (Hypotenuse) eine Länge L hat, die aus der Summe der Quadrate der Längen der beiden anderen Seiten s und h resultiert und damit nicht linear skaliert. Wegen der der quadratischen Wichtung gewinnt der Beitrag der längeren Strecke mit zunehmender Asymmetrie schnell an Dominanz. Der Zusammenhang der Strecken L, s und h ist in der Abbildung skaliert.
Rechtwinkliges Dreieck mit den Seiten L, s und h sowie die Berechnung der Läge L.
Die Bedeutung dieser simplen mathematischen Beziehung für die Vermessung einer Streckenläge lieg darin begründet, als es so gut wie unmöglich ist, der idealen Sollstrecke bei einem Messprozess zu folgen. Konkret bedeutet dies bei den etablierten Marathonläufen das Verfolgen der sog. “blauen Linie”, die allerdings leider viel zu oft nach den Zwängen der Straßenverkehrsordnung als nach metrologischen Anforderungen auf das Straßenplaster aufgebracht wurde. Beispiel in diesem Zusammenhang gibt es zuhauf. (Die nachfolgende Diskussion gilt im übrigen auch für Läufer, die möglichst ohne zusätzliche Wege der Ideallinie folgen wollen.)
Die Abweichung von der Solllinie kann man durch das Dreieck in obiger Grafik approximieren. Weicht man vor der Idealinie mit der Länge S um eine Distanz h ab, ergibt sich bei gradliniger Bewegung eine verlängerte Strecke S, die nach der simplen Formel berechnet werden kann. Das Ergebnis ist so einfach, wie aber auch überraschend. Betrachtet man den extremen Fall, dass man eine Auslenkung h = 3 m bereits nach S = 3 m vollzieht (man bewegt also mit 45° zur Ideallinie), so muss man statt 3 m eine Strecke von L = 2^(1/2) 3 m = 4,24 m zurücklegen. Das sind immerhin gut 40 % mehr als die ursprünliche Strecke.
Einen solch extremen Fall wird man in der Realität bei einer sorgfältigen Messung niemals erreichen. In der Praxis werden sich solche Abweichungen von der Ideallinie nach mindestens 50 m oder noch längeren Strecken einstellen. Bei S = 50 m spielt aber wegen der quadratischen Wichtung die Länge h = 3 m schon eine untergeordnete Rolle (S^2 = 2500 m^2, h^2 = 9 m^2), und man findet L = 50,09 m; d.h. die zusätzliche Strecke ist nur noch 9 cm länger. Und bei dem noch realistischeren Szenario von h = 0,5 m sind das L = 50,0025 m, das ist dann ein längerer Weg um nur noch 0,45 Promille. Die Streckenlänge einer 10 km Distanz würde sich durch Schwankungen dieser Art um nur einen halbem Meter verlängern.
Diese Eigenschaft erklärt, warum geometrische Effekte auf die Schwankungsbreite der Daten bedingt durch das fehlerhafte Einhalten der Ideallinie nur einen sehr geringen Effekt auf die vermessene Distanz haben. Somit ist das Fahrrad ein durchaus geeignetes Gerät Streckenvermessungen zu realisieren. Die wohl etablierte Praxis der Streckenvermessung von Laufstrecken bestätigt diese Annahmen. Dabei ist allerdings noch zu betonen, dass bei Kurven die Streckenlänge linear mit dem Radius skaliert und man dort möglichst sorgfältig auf die Einhaltung der Ideallinie achten sollte.
Anmerkung zum Beitrag auf der Webseite der “German Road Races” vom 23. Oktober 2014: “In the middle of the night – Vermessung des 41. BERLIN-MARATHON 2014” – John Kunkeler berichtet
Die letzte komplette Kontrollvermessung fand in 2011 statt. Sie wies eine Überlänge von 23 m aus. Also neben dem Sicherheitsfaktor von einem Meter pro Kilometer, kamen 23 m dazu. Arithmetisch gesehen folglich 65 m zu lang. In diesem Jahr gab es jedoch 2 größere Korrekturen, die die Streckenlänge erneut vergrößert hätten. Siegfried Menzel (Vermessungsingenieur a.D. und AIMS A-Gradvermesser) hatte alles im Vorfeld genau errechnet. Die Streckenlänge sollte in diesem Jahr passgenau werden.
Hugh Jones wurde aus London eingeflogen, sodass 2 A-Gradvermesser sich auf die Strecke machten. Vorneweg John Kunkeler, der permanent geblendet von blauen Schwenklicht der Polizei, eine Gesamtlänge von 42.206 m ermittelte. Hinter ihm folgte Hugh Jones, der als 2. (Ver-)Messer mit der etwas „besseren“ Linie auf einer Gesamtlänge 42.191 m kann. Also 4 m zu kurz. Der Start wurde 4 m zurückverlegt und die 5 km Punkte entsprechend angepasst.
Kurz zusammengefasst zeigen die Ergebnisse von nur zwei Messungen des Berliner Kurses eine Differenz von 15 m. Sollte diese Diskrepanz auf eine “bessere Linie” zurückzuführen sein, bedeutet dies den Einfluss systematischer Fehler, die nur schwer abzuschätzen und zu beherrschen sind. Für eine zuverlässige Angabe der Streckenlänge sind diese Fehler genauer zu analysieren, was auch zwangsläufig weitere Messungen der Länge erfordert. Gleiches gilt auch für die Annahme eines rein statistischen Fehlers, der in dem benannten Beispiel eine recht große Varianz der Daten bedeutet. Dann wäre aber das Messverfahren intrinsisch unsicher und würde vielfache Messungen zur Bestimmung eines ausreichend genauen Mittelwerts erfordern. Bei einer Marathonstrecke wäre das mit erheblichem Aufwand verbunden.
Auf der Basis der oben diskutierten Messungen ergibt sich bei rein statistischer Fehlerfortpflanzung eine Varianz für die Vermessung einer Marathonstrecke von ca. 3 m. Innerhalb eines Streckenintervalls von 6 m müssten also ca. 70% aller Messungen fallen. Dass dann zwei Messungen ein Interval von 15 m aufweisen, wäre dann hochgradig unwahrscheinlich. Im günstigsten Fall sollte bei einem Faktor von 2,5 der einfachen Varianz die Wahrscheinlichkeit, dass zwei Messungen diese Differenz aufweisen, bei 1 – 0,988 = 0,012 = 1,2 %. Dieser Fall ist somit recht unwahrscheinlich und stellt metrologisch ein recht seltenes Resultat dar. Der Schluss, dass die Differenz der beiden Messungen in erheblichem Maße auf systematische Abweichungen zurückzuführen ist, ist deshalb beinahe zwingend.