Der (aufhaltbare) Abstieg des Rock´n´Roll San Diego Marathon

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Auch großartige Bestleistungen im Bereich der Altersklassen können nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich der legendäre San Diego Rock´n´Roll Marathon im freien Fall zur leistungssportlichen Bedeutungslosigkeit befindet. Die Veranstaltung, die im Jahr 1998 von Tim Murphy mit der Idee Laufsport und Musik zu kombinieren, ins Leben gerufen wurde, war bereits bei der ersten Auflage ein Riesenerfolg. 20000 Teilnehmer fanden sich damals an der Startlinie ein. Seit dieser Zeit beflügelte die (Rock-)Musik die Teilnehmer auf der Strecke und nach dem Lauf gab es zum Abschluß Konzerte namhafter Stars aus der einschlägigen Musikszene. Die Idee machte Schule und weitete sich schnell auf Läufe in anderen Städten der USA aus.

Aber neben dem Spaß und der Musik hat der Marathonlauf auch eine leistungssportliche Komponente, die von Anfang an in San Diego eine große Rolle spielte. Der legendäre Mike Long und sein “Elite Racing” zeichneten für dieses Segment in San Diego verantwortlich. Durch seine vielfältigen Kontakte und engen Freundschaften zu vielen Athleten gelang es Long von Anfang an, Topathleten für diese Veranstaltung zu gewinnen. Bereits bei der zweiten Auflage erzielte der Kenianer Philip Taurus mit 2:08:33 eine zu jener Zeit internationale Topleistung. Dies schien damals der Startpunkt einer Entwicklung zu werden, neben dem sehr erfolgreichen Konzept des Breitensports den San Diego Marathon in der globalen Laufszene zu etablieren.

mike-with-bogacheva-tarusDer legendäre Mike Long (Mitte) mit den Siegern des San Diego Marathon im Jahr 1999. Links: Irina Bogacheva, rechts: Philipp Taurus. Taurus lief damals den heute noch aktuellen Streckenrekord von 2:08:33.  (c) Elite Racing

Doch durch diverse Entwicklungen kam es dann – allerdings zunächst noch mit erheblicher Verzögerung – ganz anders. 2007 verstarb Long unerwartet und die bereits auf weitere Standorte ausgedehnte Serie von Rock´n´Roll Marathons wurde von der Competitor Group übernommen, die das Engagement in den Lauf- und Ausdauersport vornehmlich mit den Augen eines Investors betrieb. Das führte zwar zu einer sehr erfolgreichen, fast inflationären Übernahme diverser Laufevents in den USA und später auch in Europa – man nähert sich immer mehr der Millionengrenze von Teilnehmern pro Jahr in den Competitor Events – , führte aber auch zu einer Revision der Konzepte im sportlichen Bereich.

Als man vor zwei Jahren zu dem Schluss kam, dass die Eliteläufer vor allem von der kommerziellen Seite ein erheblicher Kostenfaktor darstellen, wurde dieses Segment rigoros zusammen gestrichen, um es den engagierten Breitensportlern zu überlassen. Der Sturm der Entrüstung, der nach diesen Maßnahmen Competitor entgegenblies, war so gewaltig, dass man schnell zurückruderte. Allein der Verlust an Reputation in den Medien schien für die weitgehend finanziell orientierten Veranstalter Grund genug, zunächst die Enscheidungen in aller Hast zu revidieren. Dazu gehörte auch die erneute Zusammenarbeit mit Mike Turnbull, dem Nachfolger Mike Longs als Athletenkoordinator , der Competitor schon verlassen hatte.

Wie sich die Dinge aktuell bei Competitor trotzdem entwickeln, kann man nur mit Sorge verfolgen. Die Ereignisse am vorletzten Sonntag in San Diego stützen (leider) eine solche pessimistische Einschätzung. Denn die Aufmerksamkeit der Medien wird nun weniger durch absolute sportliche Topleistungen als mehr durch außergewöhnliche Geschehnisse im Lifestyle-Segment sichergestellt.

Und da kam den Veranstaltern die 92jährige (und 67 Tage alte) Herriette Thompson aus Charlotte (VA) gerade recht, die trotz diverser Krebserkrankungen als älteste Frau in der Geschichte einen Marathon in der respektablen Zeit von 7:24:36 (7:22:05 netto) absolvierte. 16mal war Herriette in San Diego bereits dabei, im letzten “schraubte” sie den Weltrekord der W90 auf 7:07 Stunden. Diesmal war sie für die Veranstalter von so hoher Bedeutung, dass sie sogar in der Business Class nach Kalifornien eingeflogen und in den Tagen vor dem Lauf medial sehr wirksam präsentiert wurde.

san-diego-2015-herniette-92yHerriette Thompson aus Charlotte (VA) ist nun mit 92 Jahren und 65 Tagen die älteste Frau, die jemals einen vollen Marathon absolvierte.  (c) Veranstalter

san-diego-2015-certificate-henrietteDie Splits von Herriette Thompson beim San Diego Marathon 2015.

Zur gleichen Zeit wird der diesjährige Sieger des San Diego Marathons vermutlich seine Unterlagen von der Messe abgeholt haben. Kaum jemand wird ihn registriert haben, und bezahlt haben wird er seinen Start wohl auch selbst.

Der leistungssportliche Fokus in San Diego lag in den letzten Jahren auf dem Halbmarathon. 2013 wurde dort Bernard Koech (KEN) mit 58:41 der drittschnellste Läufer aller Zeiten, das zu große Gefälle im Schlußpart verhinderte jedoch die Aufnahme dieser Leistung in die Bestenlisten. In diesem Jahr beschränkte man sich auf die US-Meisterschaften im Halbmarathon Master-Bereich. Meb Keflezighi als Topstar wurde in einem eigenartigen Rennen vom vermeintlichen Tempomacher Jordan Chipangame (ZIM) wieder eingeholt, der dann in 62:27 knapp gewann. Die Zeit von Keflezighi mit 62:29 kann als neuer US-Masterrekord wegen des Streckenprofils keine Anerkennung finden. Die Rekordausbeute mußte sich so auf die Masters-Bestmarken für 15 km (44:23) und 10 Meilen (16093,44 m, 47:39) beschränken.

Dagegen war das Leistungsniveau im Marathon gemessen an den Ansprüchen früherer Jahre zu Zeiten eines Mike Long nahezu erschreckend. Was in Vorberichten mit einem “marathon with less star power” gemeint war, konnte man dann am Zieleinlauf erleben. Nachdem bereits im letzten Jahr mit einer Siegerzeit von 2:23:50 das Niveau stark absackte, gab es diesmal einen dramatischen Fall in fast breitensportliche Dimensionen. Igor Campos aus dem kalifornischen Chula Vista gewann in 2:37:05, die beste Frau folgte bereits gut 4 Minuten später. Igor gab sicher sein Bestes und gehört nicht zur Gattung der Eliteläufer, aber eine Siegerzeit fast eine halbe Stunde hinter dem Streckenrekord ist für einen Marathon dieser Güte kaum nachzuvollziehen und nahezu blamabel.

Verständlich wird dieses Resultat – und das ist die eigentliche Relevanz dieser Leistung -, wenn man erfahren muss, wie der Veranstalter durch gezielte Reduzierung der Preisgelder und den Verzicht auf die Einladung adäquater Elitefelder dies sehr bewusst steuert. Damit setzt einer der größten Player in der globalen “Lauf-Industrie” ganz bewusst Zeichen gegen den Hochleistungssport im Straßenlauf. Man kann das auch noch treffender ausdrücken: In der Gewinn-Maximierung von Straßenlauf-Veranstaltungen sind Eliteläufer ein unnötiger Kostenfaktor. Die Competitor Group scheint bis auf wenige Ausnahmen, diesen Weg konsequent zu beschreiten.

Dabei geht man davon aus, dass diese Entwicklungen den “die Einnahmen einbringenden Massen” weitgehend gleichgültig sind. In der Tat kann man sich fragen, was es bringt, wenn eine Horde ostafrikanischer Topathleten meilenweit vor dem Rest des Feldes vorwegrennen und dafür üppige Preisgelder kassieren.

In San Diego hat man offensichtlich diese Frage aus kaufmännischer Sicht beantwortet. Ob sich dies am Ende auch “auszahlt”, wird sich zeigen müssen. Die Sponsoren halten momentan der Veranstaltung noch die Treue, das lokale Fernsehen ist aber bereits aus einer ausführlichen Berichterstattung ausgestiegen.

Man wird aufmerksam verfolgen müssen, inwieweit diese Entwicklungen Schule machen und auch auf weitere Veranstaltungen übergreifen. Bei vielen von Competitor zu verantwortenden Rennen wie Tempe/Arizona oder Seattle sind ähnliche Tendenzen unverkennbar. Man kann das auch mit Begriffen aus der Arbeitswelt formulieren: Die “Arbeitsplätze” für Hochleistung-Athleten aus vornehmlich ostafrikanischen Regionen werden bei Competitor konsequent abgebaut.

Was in San Diego mit großem Engagement und Können Ende des letzten Milleniums so erfolgreich gestartet wurde, findet nach 18 Ausgaben ein jähes Endes. Man erfreut sich an rüstigen Senioren/innen und nimmt bewusst in Kauf, dass es bei der ganzen Aktion einen großen Verlierer gibt: Den (Leistungs-)Sport.

Der globalen Marathonszene stehen diesbezüglich ereignisreiche Jahre ins Haus.

Die Siegerzeiten beim San Diego Marathon in den letzten Jahren veranschaulichen den zunehmenden leistungsportlichen Niedergang in den letzten drei Jahren:

2008 Simon Wangi KEN 2:10:07
2009 Khalid Boumlili MAR 2:11:16
2010 Richard Limo KEN 2:09:56
2011 Terfa Negeri ETH 2:11:18
2012 Nixon Machichim KEN 2:10:03
2013 Simon Njoroge KEN 2:15:00
2014 Ben Bruce USA 2:23:50
2015 Igor Campos USA 2:37:05