Mit überraschenden Ergebnissen ging soeben die 12. Auflage des Tokyo Marathon zu Ende. Schon früh war das Unternehmen Weltrekord beendet, Wilson Kipsang stieg nach 50 Minuten aus dem Rennen aus. Damit war er Angriff auf den Weltrekord erledigt. Offensichtlich hatte der Ex-Weltrekordler in den Tagen vor dem Lauf gesundheitliche Probleme: “I really wanted to go fast, but after suffering from stomach problems the last 2 days before the race, I didn’t have the power to run a decent race today. I’m disappointed, I was really ready for it.”
Doch die Irritation über das unerwartete Ausscheiden von Kipsang in der Spitzengruppe hielt sich in Grenzen und verblasste am Ende hinter den wahrhaft historischen Leistungen der jungen japanischen Läufergarde, die an diesem Tag mit guten äußeren Bedingungen (Temperatur 6°C) die Samurais zurück in die erweiterte Weltklasse des Marathonlaufs katapultierten. Nach dem Start wurden die ersten Kilometer einer etwa 20 Läufer starken Spitzengruppe recht ungleichmäßig mit km-Splits von 2:53, 3:04, 2:55; 3:00 und 2:54 absolviert, bei 5 km in 14:46 lag man auf Kurs zu einer Zeit von 2:04:37. Das war für die Vorgaben in Sachen Weltrekord etwas zu langsam, änderte sich aber bis 10 km in 29:37 kaum. Topstar Kipsang lief hier schon weitgehend am Ende der Gruppe und machte keine Anstalten, für ein höheres Tempo zu sorgen.
Dafür liefen die besten Japaner Yuta Shitara und Hiroto Inoue nun in der Spitzengruppe ganz vorne, mit km-Abschnitten dicht an 3 Minuten wurden 15 km nach 44:35 erreicht. Ein Weltrekord war dort definitv außer Reichweite, doch schon bald darauf kam es noch schlimmer. Kipsang lief kurze Zeit am Ende der Kopfgruppe und verlor bei 15,5 km den Anschluss. Er wurde immer langsamer und bei 16,7 km kam bereits nach 49:40 Minuten das Ende seines Auftritts in der japanischen Hauptstadt.
An der Spitze agierten neben den drei Tempomachern noch 14 Läufer, die über 59:27 bei 20 km die Hälfte in 1:02:43 zurücklegten, wobei sich die japanischen Läufer Shitara, Inoue und Kenta Murayama ganz vorne im Feld zeigten. Für die Japaner begann nun die Jagd auf den Landesrekord von 2:06:16, den Toshinari Takaoka bereits 2002 beim Chicago Marathon aufgestellt hatte. Bei 25 km in 1:14:23 lag man zwar 20 Sekunden hinter der Durchgangszeit von Takaoka, wobei der aber am Ende etwas einbrach. Die 14 Mann starke Spitzengruppe dünnte zunehmend aus, ein erstes prominentes Opfer war Vincent Kipruto, der bei 25 km schon 11 Sekunden zurücklag und bald darauf ausstieg.
Nach 30 km in 1:29:20 lag man auf Kurs zu 2:05:39 und die Tempomacher gingen aus dem Rennen. Der ehemalige Tokyo-Sieger Dickson Chumba (KEN) machte nun das Tempo und Shitara sowie bald darauf Inoue fielen zurück. Bei 35 km in 1:44:10 konnte man vorne das Tempo hoch halten, aber nur noch Chumba und seine beiden Landsleute Amos Kipruto und Gideon Kipketer waren in der Lage zu folgen. Dahinter lief Inoue mit Feyisa Lelisa (ETH) mit 2:05:40 immer noch auf Kurs zum Landesrekord, verlor aber zusehends an Zeit. Und Shitara lag 120 m zurück und schwächelte gleichfalls.
An der Spitte setzte sich Chumba bis 37 km in 1:50:01 mit 2:55-km-Abschnitten engültig von seinen beiden Landsleuten ab. Dahinter bekam Shitara den “zweiten Wind” und lief schnell zu Inoue und dem nun zurück fallenden Lelisa auf. Bei 39,8 km war Shitara schon Dritter und hatte bei 40 km in 1:59:30 die letzten 5 km noch in 15:11 zurückgelegt. Mit einer Projektion von 2:06:04 war er immer noch, wenn auch ganz knapp, auf Kurs zum Landesrekord. Vorne hatte Chumba die 40 km-Marke nach 1:58:55 erreicht und gewann das Rennen in persönlicher Bestzeit von 2:05:30.
Damit hat der Höhenflug in Sachen Topzeiten in Toyko zunächst einer Pause eingelegt, nachdem Wilson Kipsang im letzten Jahr mit 2:03:58 Tokyo in den Club der sub-2:04 -Marathonläufe katapultieren konnte. Im globalen Ranking des Jahres 2018 liegt Chumba deutlich hinter den Fabelzeiten aus Dubai zurück auf Platz 8, aber in Tokyo ist und bleibt Chumba eine Klasse für sich. In Anlehnung an Wilson Chebet in Amsterdam kann man den beständigen Kenianer auch “Mr. Tokyo” nennen. Seine großartige Erfolgsbilanz in der Megacity: 1. 2018 – 2:05:30, 1. 2014 – 2:05:42, 3. 2017 – 2:06:25, 3. 2015 – 2:06:34.
Dickson Chumba gewann den Tokyo Marathon 2018. (c) FujiTV/Screenshot
Der japanische Shooting Star Yuta Shitara mobilisierte in einem grandiosen Finale letzte Kräfte, überholte sogar noch Amos Kipruto und stellte in 2:06:11 einen neuen japanischen Rekord auf. Damit sicherte sich Shitara, der erst im Sommer 2017 den Landesrekord im Halbmarathon verbesserte, eine spezielle Prämie von umgerechnet ca. 1 Million US$! Vermutlich ist dies das höchste Preisgeld, das je ein Marathonläufer (offiziell) nach 42,195 km verdient hat. (Anmerkung: Auch für seinen Coach gab es eine erhebliche finanzielle Anerkennung.) Dritter wurde in 2:06:33 Amos Kipruto (KEN) und hinter Gideon Kipketer auf Platz 4 in 2:06:47 lief Hiroto Inoue in 2:06:54 als Fünfter gleichfalls noch unter 2:07 Stunden, was zuvor nur drei Japanern in der langen Geschichte des Marathon gelungen war.
Yuta Shitara lief beim Tokyo Marathon einen sensationellen Landesrekord. (c) FujiTV/Screenshot
Durch die guten Zeiten auf den ersten Plätzen verbesserte sich der Tokyo Marathon im Zehnermittel der schnellsten Zeiten von Platz 10 in 2:06:01 auf Platz 8 mit 2:05:52, womit man an Paris und Seoul vorbeizog. Spitzenreiter in dieser Wertung bleibt Berlin mit 2:03:28 vor Dubai in 2:04:13 und London in 2:04:34. Der Frankfurt Marathon liegt mit einem Mittel von 2:05:37 direkt vor den Japanern auf Platz 7.
Der Lauf hatte für Japan auch insofern enorme Bedeutung, als nach vielen Jahren der Frustration im Marathon noch endlich der “Knoten geplatzt” zu sein scheint. Angesichts des herausragenden Leistungsniveaus junger japanischer Läufer in den Ekiden-Staffeln, vor allem dem Hakone-Ekiden, waren die im Vergleich dazu bescheidenen Leistungen über die volle Marathondistanzkaum zu verstehen. Nun scheint die neue “Hakone-Generation” neue Zeichen zu setzen, was nicht nur der Landesrekord durch Shitara verdeutlicht. Allein in Tokyo blieben 6 Japaner unter 2:09 Stunden, 9 sogar unter 2:10 Stunden. Das hat es auf so breiter Front auf der Insel noch nie gegeben. Paradoxerweise geschieht dies in jenem Moment, in dem der japanische Verband JAAF von den überzogenen Normen der letzten Jahre abgerückt war und das heute in Tokyo erreichte Niveau in den Bereich eines Traums entrückte.
Ein wichtiger Beitrag zu diesem Entwicklungen hat sicher auch die neue Strecke geleistet, die seit 2017 eingeführt wurde und damit allen Beteiligten das fürchterliche Finale mit Ziel im Messezentrum Big Site ersparte. Aus diversen Gründen ist die Strecke schneller geworden, wie die nachstehende Tabelle der TOP10 auf dem Tokyoter Kurs eindrucksvoll belegt. Von den zehn schnellsten Zeiten der letzten 12 Ausgaben sind allein sechs Zeiten in den letzten beiden Jahren auf der neuen Strecke erzielt worden. Und mit dem Streckenrekord von 2:03:58 aus dem letzten Jahr gehört Tokyo auch dem elitären Club mit Kursrekorden von 2:03er-Zeiten an.
1 | 2:03:58 | Wilson Kipsang | KEN |
1 | 26 Feb 2017 |
2 | 2:05:30 | Dickson Chumba | KEN | 1 | 25 Feb 2018 |
3 | 2:05:42 | Dickson Chumba | KEN | 1 | 23 Feb 2014 |
4 | 2:05:51 | Gideon Kipketer | KEN | 2 | 26 Feb 2017 |
5 | 2:05:57 | Tadese Tola | ETH | 2 | 23 Feb 2014 |
6 | 2:06:00 | Endeshaw Negesse | ETH | 1 | 22 Feb 2015 |
7 | 2:06:11 | Yuta Shitara | JPN | 2 | 25 Feb 2018 |
8 | 2:06:25 | Dickson Chumba | KEN | 3 | 26 Feb 2017 |
9 | 2:06:30 | Sammy Kitwara | KEN | 3 | 23 Feb 2014 |
10 | 2:06:33 | Amos Kipruto | KEN | 3 | 25 Feb 2018 |
Bei den Frauen lag im Ziel Birhane Dibaba (ETH) in 2:19:50 vorne, womit sie den Streckenrekord aus dem Vorjahr von 2:19:47 denkbar knapp verpasste. Dibaba ist damit die 26. Läuferin, die die Barriere von 2:20 Stunden bei den Frauen unterbieten konnte. Das Rennen der Frauen bestimmte – angeführt von drei jungen japanischen Tempomachern (die ihren Job großartig machten) – zunächst ein Quintett an der Spitze, bestehend aus Dibaba – seit 2014 ohne Unterbrechung in Tokyo am Start und Gewinnerin im Jahr 2015 – , Ruti Aga (ETH) – im Januar Siegerin beim Houston Halbmarathon in 1:06:38 – , Amy Cragg (USA), Shure Demise (ETH) sowie Helah Kiprop (KEN), die 2016 in Tokyo gewann.
Über 16:38 bei 5 km, 33:16 bei 10 km, 49:59 bei 15 km und 1:06:37 bei 20 km erreichte man den Halbmarathon in 1:10:19, lag also etwas über einer Pace für 2:20 Stunden. Helah Kiprop war hier als Erste bei dem ansonsten sehr konstanten Tempo zurückgefallen. Bei der Hälfte lag sie 25 Sekunden zurück, am Ende reichte es für sie in 2:28:58 nur zu Platz 5, über 9 Minuten hinter der Siegerin. Über 1:23:17 bei 25 km wurde 30 km in 1:39:52 erreicht, wo Demise nicht mehr mithalten konnte und gleichfalls zurückfiel.
Birhane Dibaba gewann erneut in Tokyo. (c) FujiTV/Screenshot
Im verbliebenen Trio erhöhten jetzt Aga und Dibaba das Tempo mit einem 5 km Abschnitt von 16:26 nach 35 km, wo Cragg 8 Sekunden eintraf. Ein weiterer 5 km Abschnitt nach 40 km in 16:22 sah Aga als letzte Mitstreiterin 40 Sekunden hinter Dibaba zurück. Die hielt das hohe Tempo und lief den letzten Part von 40 km bis ins Ziel in 7:11 Minuten (damit war sie hier so schnell wie Kipruto und Kipketer bei den Männern …), verpasste aber in 2:19:50 den Streckenrekord, wenn auch denkbar knapp. Platz 2 ging an Ruti Aga (ETH) in 2:21:19 vor der erstaunlich starken US-Amerikanerin Amy Cragg in 2:21:42. Cragg verbesserte ihren Hausrekord von 2:27:03 um über 5 Minuten. Die deutsche Starterin Anna Hahner kam mit gesundheitlichen Problemen noch nicht einmal aus dem Stadtteil des Starts Shinjuku heraus und gab das Rennen schon vor 5 km auf.
Ergebnisse Männer:
1. Dickson CHUMBA 2:05:30 PB
2. Yuta SHITARA 2:06:11 NR
3. Amos KIPRUTO 2:06:33
4. Gideon KIPKETER 2:06:47
5. Hiroto INOUE 2:06:54
6. Feyisa LILESA 2:07:30
7. Ryo KINAME 2:08:08
8. Chihiro MIYAWAKI 2:08:45
9. Kenji YAMAMOTO 2:08:48
10. Yuki SATO 2:08:58
11. Mohamed Reda El AARABY 2:09:18
12. Kohei OGINO 2:09:36
13. Tadashi ISSHIKI 2:09:43
14. Akinobu MURASAWA 2:09:47
15. Kariuki SIMON 2:10:00
16. Asuka TANAKA 2:10:13
17. Hiroki YAMAGISHI 2:10:14
18. Daichi KAMINO 2:10:18
19. Kengo SUZUKI 2:10:21
20. Tsegaye Mekonnen ASEFA 2:10:26
21. Juan Luis BARRIOS 2:10:55
Ergebnisse Frauen:
1. Birhane DIBABA 2:19:51
2. Ruti AGA 2:21:19
3. Amy CRAGG 2:21:42
4. Shure DEMISE 2:22:07
5. Helah KIPROP 2:28:58