Ed Whitlock aus Milton, Ontario (1931 – 2017): Ein Ausnahmekönner bei den Marathon Masters+

Dieser Beitrag wurde nach der einmaligen Leistung von Ed Whitlock als 85-jähriger Läufer beim Scotiabank Toronto Marathon im Oktober 2016 geschrieben. Anlässlich des plötzlichen Todes von Ed wird dieser hier noch einmal aktualisiert präsentiert.

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Weit mehr Interesse als die Sieger beim Scotiabank Toronto Marathon am letzten Sonntag fand ein schon 85-jähriger Läufer aus dem nur 30 km von der Laufstrecke entferten Milton am Lake Ontario in der kanadischen Provinz Ontario. Dort wohnt seit vielen Jahren die Lauflegende Ed Whitlock, der die Jahrgangs-Weltbestmarken über die Marathondistanz mittlerweile im Dutzend gesammelt hat.

toronto-mar-2016-whitlock-finish1Nach 3:56:38 blieben die Uhren für Ed Whitlock am Sonntag in Toronto stehen. Als erster Mensch über 85 Jahren blieb er im Marathon unter der 4 Stunden-Grenze. (c) Veranstalter/Screenshot

Nach 3:56:34* (3:56:33,2) überquerte der 85 Jahre und 224 Tage alte Senior die Ziellinie und bewältigte als erster Mensch von 85 Jahren und älter die 42195 m in weniger als vier Stunden. (Anmerkung*: Die zunächst in den Ergebnislisten angegebene Zeit war die Netto-Zeit, die hier aber relevante “Gun-Time” war 3:56:38. Hier kann man wieder diskutieren, welche Zeit relevant ist.) Den Jahrgangs-Weltrekord verbesserte er in Bezug auf Netto- oder Bruttozeit um mehr als eine Stunde, den Altersklassen-Weltrekord der M85 um fast 40 Minuten. Im Ziel wurde er von den Veranstaltern  fast übersehen, obwohl Ed den Kurs in Toronto zuvor schon sechsmal in die (Welt-)Rekordlisten gebracht hatte.

Dabei waren die Randbedingungen für Ed bei diesem Lauf alles andere als optimal. Wie er in diversen Interviews kundtat, verhinderten langwierige gesundheitliche Probleme eine angemessene Vorbereitung auf die Rekordjagd. Nur etwa zwei Monate konnte er sich voll auf diesen Marathon vorbereiten. In seiner Nachschau war das deutlich zu kurz. Und auch das Wetter war alles andere als für ein solches Unterfangen geeignet. Der Taupunkt hatte sich bis zum Sonntag auf 17°C geschraubt, bei Temperaturen um 19°C war es ausgesprochen schwül und im ersten Teil regnete es.

Der recht bescheidene und zurückhaltende Kanadier, der als junger Ingenieur aus England emigrierte, hätte bei besseren Voraussetzungen eine Zeit um 3:40 Stunden als realistisch angesehen. Dies entspräche einem mittleren Tempo von 5:13 Minuten/km und auch seiner Halbmarathon-Zeit von 1:50:47, die er im April im kanadischen Waterloo aufstellte (die ist natürlich auch M85-Weltrekord/Weltbestleistung).Ed Whitlock runs in a cemetery near his home in Milton, Ont.

Ed Whitlock beim Training auf dem Friedhof von Milton. (c) National Post

Hinlänglich bekannt ist mittlerweile seine Trainingsstrecke auf dem städtischen Friedhof in Milton bei ihm um die Ecke, was bei einem Senior im 9. Lebensjahrzehnt nicht einer gewissen Ironie entbehrt. Wesentlicher Grund für diese ungewöhnlichen Wahl war neben des guten Belags der Strecke und des Fehlens störenden Verkehrs vor allem der Vorteil, dass in den (langen) kanadischen Wintern die Gehwege auf dem Friedhof weit gründlicher geräumt werden als in der Stadt. Seine Begabung für den Laufsport zeigte sich in frühen Jahren in seiner Londoner Zeit (nicht: London, Ontario sondern London, UK!), wo er ein herausragender Junior war. Aber nach der Übersiedlung nach Kanada als Ingenieur im Bergbau begann er erst wieder mit dem Laufen jenseits der 40, als sein Sohn einen Marathon plante.

In den Rekordlisten des Marathon tauchte Ed erst jenseits des Rentenalters auf, mit 68 Jahren lief er in Columbus (Ohio) den noch heutigen gültigen Jahrgangsrekord von 2:51:02. Über 70 Jahre alt startete er zweimal beim Rotterdam Marathon jeweils mit Rekord, wo er den Kurs nach eigener Einschätzung für besonders schnell hält. Seine Topleistung erreichte er allerdings in Toronto, wo er im September im Alter von 73 Jahren und 204 Tagen grandiose 2:54:49 erreichte. Nochmals großartig war seine Leistung am 16. Oktober 2011 an gleicher Stelle, wo Ed im Alter von 80 Jahren und 224 Tagen in 3:15:54 alle zuvor erbrachten Leistungen in dieser Alterskategorie sprichwörtlich hinwegfegte. Mit 81 Jahren schaffte er 3:30:29, mit 82 3:41:58, danach war erst einmal ein vorläufiges Ende erreicht. Vor allem Knieprobleme ließen ein leistungsorientiertes Laufen nicht mehr zu. Ohne medizinische Behandlung wartete er geduldig eine Besserung ab. Deshalb fehlte er in den folgenden beiden Jahre auf der Strecke in Toronto, war aber vor Ort und hielt das Zielband für die Sieger.

Erst im Juni dieses Jahres fiel die Entscheidung wieder mit dem (Marathon-)Training zu beginnen, was in der Tat für eine Höchstleistung – und das ist ein sub-4-Stunden-Marathon für einen Läufer von Mitte 80 – zu knapp bemessen schien. Trotzdem lief der erste Part seiner Mission am letzten Sonntag bestens mit konstanten 5 km-Splits um 27 Minuten, die zu einer Zeit knapp unter 3:50 Stunden geführt hätten. Doch schon beim Halbmarathon (1:54:34) bekam er ungewohnte Probleme und beschloss, nicht mehr auf Zeit zu laufen. Doch Ed ist auch ein Kämpfer, der in seinen 15 oder vielleicht sogar 20 Jahre alten Schuhen nach einem Tempo nahe der 6 Minuten/km wieder ins Rennen kam und sich bei 35 km ein ausreichendes Zeitpolster geschaffen hatte, um sein Ziel von unter 4 Stunden zu realisieren.

Und in der Tat gelang sein Vorhaben, wobei er im Ziel dann sogar noch lockerer erschien als viele Mitstreiter, die zum Teil mehr als 50 Jahre jünger waren als der Mann, der mit normalen Maßstäben kaum mehr zu messen ist. Dazu gehört dann auch sein Laufhemd, das noch einige Jahre mehr auf dem Buckel zu haben scheint als seine Schuhe, deren Elastizität er gegenüber den modernen High-Tech-Gebilden so schätzt. Dass sich Ed durchaus auch für “neue” Dinge offen zeigt, belegt dieser Lauf, den er erstmals ohne Socken in seinen “Oldtimern” bestritt. In einem Interview mit der lokalen Presse zeigte er sich nahezu euphorisch über die erst nach so vielen Jahren gemachten Erfahrungen. Das Laufgefühl war bestens und auch Blasen hatten sich beim Regen in der ersten Stunde des Laufs nicht eingestellt.

Dave Thomas/Postmedia Network

Ed Whitlock beim Scotiabank Toronto Marathon, wo er eine Jahrgangs-Weltbestleistung für die M85 aufstellte. (c) Toronto Marathon

Wie geht es weiter mit dem Ausnahmeläufer aus Milton? Ein Blick auf die Jahrgangsschnellsten im Marathon zeigt eindrucksvoll, wie der Master+ die Szenerie beherrscht. Die Liste zeigt aber auch, dass er in den kommenden Jahren diese dominierende Rolle in den nächsten Altersstufen ausbauen könnte, so die Biologie ihm dies möglich macht. Das Potential dazu hat er allemal.

Und was können wir von ihm und seinen einmaligen Leistungen lernen? Nach Aussage von Ed eigentlich wenig: “Jeder hat zu entscheiden, was für ihn selbst das Beste ist. Was für ihn gut ist, ist nicht unbedingt gut für andere Läufer. Falls jemand das glaubt, soll er das machen. Empfehlen würde er das nicht.”

Dabei würde es sicher schon reichen, wenn Ed gesund bleibt und uns mit weiteren, gerade auch für den Fachmann eigentlich kaum noch nachvollziehenden Leistungen erfreut.

KEEP ON RUNNUNG, ED !

Anmerkung: Im Dezember 2016 ging Ed wegen diverser Beschwerden zum Arzt, am letzten Montag verstarb er im Alter von gut 86 Jahren an einer Krebserkrankung. Somit war es ihm nicht vergönnt, seine einmalige Serie fortzusetzen.

 Die Jahrgangsschnellsten im Marathon der Männer: (Quelle ARRS)
60y 27d  2:36:30  Yoshihisa Hosaka (JPN) 1.2.2009 Oita JPN
61y 33d 2:38:12  Yoshihisa Hosaka (JPN) 7.2.2010 Oita JPN
62y202d   2:41:07  John Gilmour (AUS) 21.11.1981 Albany AUS
63y 30d 2:45:23 John Shaw (AUS) 3.7.2016 Gold Coast AUS
64y 72d 2:42:44 Clive Davies (USA) 28.10.1979 Portland USA
65y129d 2:41:57 Derek Turnbull (NZL) 12.4.1992 London GBR
66y 27d 2:42:49 Clive Davies (USA) 13.9.1981 Eugene USA
67y 45d 2:51:07 Luigi Passerini (ITA) 8.4.1990 Mirandola ITA
68y253d 2:51:02 Ed Whitlock (CAN) 14.11.1999 Columbus USA
69y237d 2:52:50 Ed Whitlock (CAN) 29.11.2000 Columbus USA
70y 68d 3:00:23 Ed Whitlock (CAN) 13.5.2001 London CAN
71y306d 3:00:58 John Keston (GBR) 6.10.1996 St. Paul USA
72y206d 2:59:09 Ed Whitlock (CAN) 28 .9.2003 Toronto CAN
73y204d 2:54:48.3 Ed Whitlock (CAN 26.9.2004 Toronto CAN
74y 35d 2:58:40.0 Ed Whitlock (CAN) 10.4.2005 Rotterdam NED
75y202d 3:08:34.5 Ed Whitlock (CAN) 24.9.2006 Toronto CAN
76y 40d 3:04:53.4 Ed Whitlock (CAN) 15.4.2007 Rotterdam NED
77y143d 3:33:27 Ed Benham (USA) 2.12.1984 San Diego USA
78y101d 3:36:59 Warren Utes (USA) 4.10.1998 St. Paul USA
79y288d 3:47:01 Ant. Caponetto (ITA) 25.9.2011 Bergamo ITA
80y224d 3:15:53.9 Ed Whitlock (CAN) 16.10.2011 Toronto CAN
81y222d 3:30:28.4 Ed Whitlock (CAN) 14.10.2012 Toronto CAN
82y228d 3:41:57.8 Ed Whitlock (CAN) 20.10.2013 Toronto CAN
83y283d 4:19:07 Ant. Caponetto (ITA) 20.9.2015 San Giorgio ITA
84y 86d 4:17:51 Ed Benham (USA) 6.10.1991 St. Paul USA
85y224d 3:56:38 Ed Whitlock (CAN) 16.10.2016 Toronto CAN
86y 64d 4:34:55 Robert Horman (AUS) 4.7.2004 Brisbane AUS
87y201d 5:12:59 Paul Spangler (USA) 5.10.1986 Richmond CAN
88y 68d 6:05:53 Mike Fremont (USA) 2.5.2010 Cincinnati OH USA
89y 94d 6:35:38 Sam Gadless (USA) 3.3.1996 Los Angeles USA
90y262d 6:35:47 Mike Fremont (USA) 11.11.2012 Huntington USA
91y 13d* 6:45:31 Fauja Singh (ENG) 14.4.2002 London GBR
92y180d* 5:40:04 Fauja Singh (ENG) 26.9.2003 Toronto CAN
93y 17d* 6:07:13 Fauja Singh (ENG) 18.4.2004 London GBR

 

 

 

 

Splits von Ed Whitlock in Toronto:
 5 km 26:52 5:22/km 26:52
10 km 27:04 5:24/km 53:56
15 km 27:05 5:24/km 1:21:01
21.1 km 33:34 5:30/km 1:54:34
25 km 22:13 5:41/km 2:16:46
30 km 29:00 5:47/km 2:45:46
35 km 28:18 5:39/km 3:14:04
40 km 29:56 5:59/km 3:43:59
 Ziel 12:35 5:42/km 3:56:34
netto 5:36/km 3:56:33.2
brutto 3:56:38