Bei traumhaftem Frühlingswetter war die 70. Auflage des Paderborner Osterlaufs ein großartiger Erfolg. Mit 11700 Teilnehmern kam das Sportzentrum am Maspernplatz – ein idealer Ort für eine solche Großveranstaltung – so langsam an seine Grenzen der Kapazität. Den 10 km Lauf gewann der Kenianer Geoffrey Yegon, der erst seinen dritten Wettkampf auf europäischem Boden bestritt und in der Trainingsgruppe von Geoffrey Mutai und Marathon-Weltrekordler Dennis Kimetto trainiert. Wenn man miterlebte, in welcher Manier der junge Mann in der Woche zuvor den Halbmarathon in Venlo in 59:44 gewann und dann auf den letzten 2 km die 10 km beim Osterlauf für sich entschied, der wird übereinstimmen, dass hier der Straßenlaufszene ein Ausnahmetalent erwächst.
Als sich aber Yegon zusammen mit den beiden Nächstplatzierten Arne Gabius und Alex Kapcheromit fotografieren ließ, gab es nach fast genau 30 Minuten ein Ereignis, das doch zur einiger Irritation Anlass gab. Im Zielsprint um Platz 8 und des Unterbietens der Schallmauer von 30 Minuten hatte der junge Kasseler Nachwuchsläufer Jens Nerkamp auf dem Heierswall die Nase deutlich vorne vor dem Kasachen Mikhail Krassilov. Ein Screenshot des Livestreams der Veranstaltung belegt dies nachdrücklich. Geschätzt mit ca. 10 Meter Vorsprung lief Nerkamp unbedrängt auf Platz 8 ein.
Jens Nerkamp belegt Platz 8 vor Mikhail Krassilov. Zumindest wenn man die Reihefolge des Einlaufs in Paderborn als Maßstab nimmt. (c) Screenshot AFV Medienproduktion
Als man jedoch bald darauf einen Blick in die Ergebnisliste warf, traute man seinen Augen kaum. Da wurde nämlich der Kasache vor dem deutschen Läufer geführt. Eine erste Suche nach dem Grund für dieses ungewöhnliche Ranking, muß augenscheinlich mit einer Nettozeit zu tun haben, die im Elitesegment nun wirklich nichts zu tun hat. Das zeigt auch dieses unrühmliche Beispiel. Und wie abstrus eine solches Ranking ist, zeigt die Tatsache, dass ein Läufer, der seinen Start (bewusst oder ohne Absicht) verzögert, sich für das Finale einen Vorteil verschafft. Das, was hier im Kampf um Platz 8 passierte, könnte sich auch beim Kampf um den Sieg zutragen. Damit wird dann der Einlauf vollends entwertet und sinnlos.
Name | netto | brutto | Handst. | |
1. | Yegon, Geoffrey (KEN) | 00:28:21 | 00:28:22 | 28:21,8 |
2. | Gabius, Arne (GER) | 00:28:39 | 00:28:41 | 28:39,8 |
3. | Kapcheromit, Alex Cherop (UGA) | 00:28:40 | 00:28:42 | 28:40,3 |
4. | Geay, Gabriel Gerald (TAN) | 00:28:46 | 00:28:48 | |
5. | Chemweno, Bethwel (KEN) | 00:29:01 | 00:29:03 | 29:01,9 |
6. | Bett, David (KEN) | 00:29:16 | 00:29:19 | 29:17,3 |
7. | Solomun, Eyob Berhe (ERI) | 00:29:25 | 00:29:27 | 29:25,9 |
8. | Krassilov, Mikhail (KAZ) | 00:29:57 | 00:30:01 | 30:00,2 |
9. | Nerkamp, Jens (GER) | 00:29:57 | 00:30:00 | 29:58,6 |
10. | Reinwand, Sebastian (GER) | 00:30:06 | 00:30:09 | 30:07,9 |
Dazu kommt, dass sich im Gegensatz zur Bruttozeit (“gun time”) die Nettozeit nur schwer halbwegs exakt erfassen lässt. Die Läufer haben in der unmittelbaren Startphase eine geringe Geschwindigkeit, so dass sich minimale Abweichungen in der Startaufstellung sofort im Sekundenregime auswirken können. Vor allem, wenn wie in Paderborn auch noch am Rennen eigentlich unbeteiligte Recken aus dem American Football die Szenerie bereichern, dabei aber die Eliteläufer ausbremsen, zum Teil sogar behindern. Ein Blick auf die Zeitdifferenzen zwischen Netto- und Bruttozeiten, die in Paderborn bis zu 4 Sekunden betragen, sind für sich selbst schon ein Unding. Dass diese Fakten dann auch noch Eingang in die DLV-Bestenlisten finden, in der die ungesicherte Nettozeit von Nerkamp von 29:57 aufgeführt wird, lässt die ganze Angelegenheit fast zur Posse geraten.
Der Start zum 10 km Lauf beim Paderborner Osterlauf am 26. April 2016. Nerkamp und Krassilov standen nur unweit voneinander entfernt. (c) Screenshot Videobericht WB
Dabei soll hier keine generelle Kritik gegen Nettozeiten (und Footballer als Starthilfe) geäußert werden. Nur im Elitesegment haben die nichts zu schaffen. Ein klare (räumliche) Trennung der Eliteläufer und der Freizeitläufer würde die Dinge schon am Start definieren, wobei man dann gerne hinter dem Elitefeld auf die ordnenden Körper hochgewachsener Ballspieler zurückgreifen darf. Und alle Aktiven, die dann hinter diesen Recken mit zum Teil erheblicher Verzögerung über die Startmatten laufen, können das dann auch gerne dokumentiert bekommen. Ob dann jemand sich am Ende von z.B. 44:55 Minuten noch auf effektive 44:37 herunterrechnen lässt, ist vornehmlich für den Beteiligten interessant und sicher auch fair. Im professionellen Segment ist das aber unhaltbar und sollte auch nicht in Ansätzen in Erwägung gezogen werden.
Die 10 km beim Osterlauf in Paderborn haben diesbezüglich wieder eindrucksvolles Anschauungsmaterial geliefert. Übrigens betrugen die sorgfältig ermittelten Hand gestoppten Zeiten der beiden Kontrahenten 29:58,6 und 30:00,2. Und die sind von der Natur der Sache “gun times”! Nach der guten Leistung von Jens Nerkamp in Paderborn konnte er diese beim Berliner Halbmarathon eine Woche später eindrucksvoll bestätigen. In 1:04:06 wurde er ganz knapp hinter Hendrik Pfeiffer als drittbester deutscher Läufer insgesamt Elfter, wobei sich die Problematik vom Paderborner Lauf als gegenstandslos erwies. Brutto- und Nettozeit waren nämlich in Berlin identisch.