Bei den Fanny-Blankers-Koen (FBK) Games im niederländischen Hengelo pulversierte im Sinne des Wortes die niederländische Ausnahmeathletin Sifan Hassan (NED) mit 29:06,82 den Weltrekord über 10.000 m der Frauen. In einem kontrollierten Solorennen ab gut 2 km verbesserte sie den Weltrekord von 29:17,45 durch Almaz Ayana um über 10 Sekunden und überrundete dabei die komplette Konkurrenz. Neben dem Weltrekord von Hassan liefen bei guten äußeren Bedingungen (ca. 19°C und moderater Wind) die ersten sieben Läuferinnen persönliche Bestleistungen.
Die neue Inhaberin des Weltrekords im 10.000 m-Lauf der Frauen: Sifan Hassan (NED) (c) Livestream/Screenshot
Nach dem Start um 15:10 Uhr Ortszeit ging Hassan unterstützt von zwei Tempomacherinnen auf Rekordjagd, wobei ein Lauflicht die Läuferinnen bei der Tempogestaltung unterstützte. Nach ersten zwei Runden in jeweils 70 Sekunden passierte die Spitzengruppe 1000 m nach 2:56,12 und 2km nach 5:52,19. Zuvor hatte sich schon die erste Tempomacherin Diane van Es (NED) verabschiedet, kurz darauf schwächelte auch die zweite Pacerin Jaqueline Rotich (KEN), so dass Hassan nur noch vom Lauflicht unterstützt wurde, das genau auf Weltrekord-Kurs eingestellt war. Den Rest des Rennens bewältigte nun die Ausnahmeläuferin völlig auf sich allein gestellt.
Manager Jos Hermens unterstützte Hassan am Rande der Bahn. (c) Livestream/Screenshot
Über 8:47,91 bei 3 km und 11:43,33 bei 4 km erreichte Hassan die 5000 m in 14:38,75, was verdoppelt eine 10.000 m-Zeit von 29:17,50 ergibt; angesichts des Weltrekords von 29:17,45 war dies eine perfekte Tempogestaltung. An dieser Konstellation änderte sich zunächst wenig, nach 17:34,44 bei 6 km, 20:30,37 bei 7 km und 23:25,85 bei 8 km wurde das verbliebene Verfolgertrio überrundet, das trotzdem noch im Regime von 30:40 Minuten lief. Bei 9000 m wurden für die Läuferin an der Spitze 26:21,05 gestoppt, bei der bekannten Endschnelligkeit von Hassan war nun ein neuer Weltrekord in Reichweite.
Sifan Hassan läuft mit 29:06,82 eine Fabelzeit übe 10.000 m bei den Frauen. (c) FBK-Games
Mit einem phänomenalen Schluss-Kilometer in 2:45,77 erreichte die gebürtige Äthiopierin die Ziellinie nach 25 Runden in 29:06,82 (zunächst 29:06,84) und war damit nicht nur dem Lauflicht sondern auch der alten globalen Bestmarke um Längen enteilt. Die zweite Hälfte war sie damit in gleichfalls beeindruckenden 14:28,07 gelaufen, ihre PB über diese Distanz allein steht bei 14:22,12. Bereits im Oktober 2020 hatte sie an gleicher Stelle einen Angriff auf den Rekord versucht, bei regnerischen Bedingungen reichte es aber damals “nur” mit 29:36,67 zu einem Europa-Rekord. Am heutigen Sonntag hatte alles gestimmt und Hassan wurde für ihren großen Einsatz mit einer Fabelzeit belohnt. Der Stadionrekord in Hengelo von 30:57,07, den Liz McColgan vor über 10 Jahren aufgestellt hatte, steht nun in neuen Dimensionen. Neben Hassan hat bei den Frauen nur noch Tirunesh Dibaba (ETH) die Schallmauer über 10.000 m von 30 Minuten zweimal unterbieten können. Und auch hinter der neuen Weltrekordlerin gab es durch Iren Kimais (KEN) in 30:37,24, Daisy Cherotich (KEN) in 30:37,31 und Joyce Tele (KEN) in 30:59:01 absolute Topzeiten.
Das obligatorische Siegerfoto nach einer Rekordleistung: 29:06,82 – NEW WR. (c) Livestream/Screenshot
Mit dem Lauf von Hassan in Hengelo sind seit August 2020 ALLE vier Weltrekorde auf den Bahnlangstrecken bei den Männern sowie Frauen unterboten worden. Neben neuen Spikes kam vor allem auch die Wave Light Technology zum Einsatz, die ein sehr kontrolliertes Laufen bei der Tempohatz unterstützt. Die aktuellen Bestmarken liegen nun bei: 5000 m – Joshua Cheptegei (UGA) 12:35,36 (Monaco 14.8.2020), Letesenbet Gidey (ETH) 14:06,62 (Valencia 7.10.2020), 10.000 m – Joshua Cheptegei 26:11,00 (Valencia 7.10.2020), Sifan Hassan 29:06,82 (Hengelo 6.6.2021).
Hassan ist mit ihrer Leistung vom heutigen Sonntagnachmittag die erklärte Favoritin für die Bahnlangstrecken bei den Olympischen Spielen Anfang August in Tokyo. Ein Blick auf den Zeitplan – so die Spiele überhaupt stattfinden – zeigt, dass eigentlich nur ein Double über 5000 m und 10.000 m möglich erscheint. Ein Doppelsieg über 1500 m und 10.000 m, wie zuletzt bei der WM 2019 in Doha, ist mit gleichzeitigen Einsätzen an einem Tag so gut wie ausgeschlossen. Wie sich die neue Weltrekordlerin am Ende entscheiden wird, wird sich in Tokyo zeigen. Sie ist auf jeder Strecke, auf der sie dort antritt, eine der erklärten Favoritinnen.
Im Siegerinterview zeigte sie sich jedenfalls hoch erfreut und etwas überrascht über ihre Leistung, verwies auf das erfolgreiche Training der letzten Zeit und sieht Olympia mit Zuversicht entgegen. Dabei hatte sie sich zu Beginn gar nicht so gut gefühlt, da sie erst wenige Tage vor dem Rennen aus den USA angereist war und erheblich unter dem Jetlag zu leiden hatte. Mit fortschreitender Distanz lief es bei ihr aber immer besser. Nun scheint die 29-Minuten-Barriere im 10.000 m-Lauf der Frauen in Reichweite zu kommen, davon ist auch Manager Jos Hermens überzeugt, der sowohl Hassan als auch der gleichfalls von seinem Management betreuten Letesenbet Gidey eine 28er-Zeit zutraut.
Splits der führenden Läuferin: | |||
1000 m | 2:56,12 | 2:56,12 | |
2000 m | 5:52,19 | 2:56,07 | -0,05 |
3000 m | 8:47,91 | 2:55,72 | -0,35 |
4000 m | 11:43,33 | 2:55,42 | -0,30 |
5000 m | 14:38,75 | 2:55,42 | -0,00 |
6000 m | 17:34,44 | 2:55,69 | +0,27 |
7000 m | 20:30,37 | 2:55,93 | +0,24 |
8000 m | 23:25,85 | 2:55,48 | -0,45 |
9000 m | 26:21,05 | 2:55,20 | -0,28 |
10000 m | 29:06,82 | 2:45,77 | -9,43 |
Entwicklung des Weltrekords 10.000 m Frauen: | ||||
31:35,3 | Mary Tabb (Decker) | USA | Eugene | 16.7.1982 |
31:35,01 | Ljudmila Baranowa | URS | Krasnodar | 29.5.1983 |
31:27,58 | Raisa Sadrejdinowa | URS | Odessa | 7.9.1983 |
31:13,78 | Olga Bondarenko | URS | Kiew | 24.6.1984 |
30:59,42 | Ingrid Kristiansen | NOR | Oslo | 27.7.1985 |
30:13,74 | Ingrid Kristiansen | NOR | Oslo | 5.7.1986 |
29:31,78 | Wang Junxia | CHN | Beijing | 8.9.1993 |
29:17,45 | Almaz Ayana | ETH | Rio | 12.8.2016 |
29:06,82 | Sifan Hassan | NED | Hengelo | 6.6.2021 |
Die schnellsten Zeiten über 10.000 m der Frauen: | ||||
29:06,82 | Sifan Hassan | NED | Hengelo | 6.6.2021 |
29:17,45 | Almaz Ayana | ETH | Rio | 12.8.2016 |
29:31,78 | Junxia Wang | CHN | Beijing | 8.9.1993 |
29:32,53 | Vivian Cheruiyot | KEN | Rio | 12.8.2016 |
29:36,67 | Sifan Hassan | NED | Hengelo | 10.10.2020 |
29:39,42 | Gudaf Tsegay | ETH | Maia | 8.5.2021 |
29:42,56 | Tirunesh Dibaba | ETH | Rio | 12.8.2016 |
29:50,77 | Kalkidan Gezahegne | ETH | Maia | 8:5.2021 |
29:53,51 | Alice Nawowuna | KEN | Rio | 12.8.2016 |
29:53,80 | Meselech Melkamu | ETH | Utrecht | 14.6.2009 |
29:54,66 | Tirunesh Dibaba | ETH | Beijing | 15.8.2008 |
29:59,20 | Meseret Defar | ETH | Birmingham | 11.7.2009 |