Keine Frage, der “Hakone Ekiden” ist einer der bedeutendsten globalen Laufwettbewerbe, obwohl man erstaunlicherweise von japanischer Seite kaum Interesse zu haben scheint, diese außergewöhnliche Veranstaltung auch außerhalb des Landes bekannt zu machen. Und wenn man das ohnehin schon geringe Interesse an Laufveranstaltungen in deutschen Medien in Betracht zieht, wird die Verbreitung dieser Veranstaltung in bundesdeutschen Medien kaum vermisst. Während sich in unseren Landen die Berichterstattung vom Sport neben dem Fußball bis in die unteren Ligen auf den Winter- sowie Motorsport beschränkt, haben Laufveranstaltungen in Japan hohe Einschaltquoten, beim Hakone über viele Stunden bis zu 40 %. Und wenn bei vielen Läufen die Zuschauerzahlen bis ins Peinliche geschönt werden, beim Hakone steht ein “Millionen-Publikum” in der Tat an der Strecke.
Deshalb ist es mehr als angezeigt, zumindest an dieser Stelle auf eines der bedeutendsten Ereignisses in der japanischen Öffentlichkeit einzugehen, das jedes Jahr am 2. und 3. Tag des neuen Jahres über die Bühne geht, in diesem Jahr schon zum 92. Mal. “Hakone” ist ein Staffel-Lauf (“Ekiden”), bei dem sich 20 Teams von Universitätsstudenten aus dem Großraum Tokyo eine Strecke von 217,1 km in zweimal 5 Etappen teilen, die jeweils die Größenordnung einer Halbmarathondistanz umfassen. Die Strecke verläuft aus dem Zentrum Tokyos an der Küste entlang, bis auf der letzten Etappe der spektakuläre Aufstieg mit über 800 Höhenmetern in den Kurort Hakone unweit des Fujijama erfolgt. In Hakone wird dann am kommenden Tag der Lauf zurück nach Tokyo gestartet.
Nach dem etwas überraschenden Gewinn der Aoyama Gakuin University (“Grüner Berg Campus”) mit dem sagenhaften Auftritt von Daichi Kamino im Aufstieg nach Hakone, der entscheidend für den Sieg seines Teams war, konnte das Team den Sieg auch 2016 wiederholen. Dabei blieb man wieder – diesmal als einziges Team – unter der legendären Marke von 11 Stunden und führte das Rennen von der ersten Etappe bis ins Ziel an. Dies war seit fast 40 Jahren keinem Team mehr gelungen. Mit einer Siegerzeit von 10 Stunden 53 Minuten und 25 Sekunden liefen die 10 Studenten die 217,1 km in einem Schnitt (!) von 3:00,6 Minuten pro km. Im letzten Jahr lief man sogar eine neue Rekordzeit und war noch 4 Minuten schneller (2:59,5 pro km). Das sagt über das Niveau des Laufs eigentlich alles, wir kommen darauf gleich noch einmal kurz zurück.
Die Ergebnisse und der Rennverlauf sind in englischer Sprache auf der Homepage der Japan Running News (JRN) von Brett Larner im Detail dargestellt. Auf diesen Link sei hinsichtlich einer sehr ausführlichen Berichterstattung verwiesen (in japanischer Sprache ist natürlich ungleich mehr in den dortigen Medien zu finden).
Endergebnis des 92. Hakone Ekiden am 2./3. Januar 2016
1. | 青山学院大学 | Aoyama Gakuin University | 10:53:25 | |
2. | 東洋大学 | Toyo University | 11:00:36 | 07:11 |
3. | 駒澤大学 | Komazawa University | 11:04:00 | 10:35 |
4. | 早稲田大学 | Waseda University | 11:07:54 | 14:29 |
5. | 東海大学 | Tokai University | 11:09:44 | 16:19 |
Um den Lauf in allen seinen Facetten zu durchdringen, braucht es eine Menge Insiderwissen, das man hierzulande kaum voraussetzen kann. Aber es lohnt sich schon an Beispielen anzudeuten, was Hakone so einzigartig macht.
Dies beginnt mit der TV-Übertragung, die an den beiden Tagen schon in der Länge mit ca. 15 Stunden alles in den Schatten stellt. Seit Jahren beweisen die Medien, wie spannend man ein Laufevent zum Zuschauer transportieren kann. Bei der Übertragung von Hakone stimmt einfach alles. Während bei uns und in vielen anderen Ländern völlig unfähige Leute für die Laufübertragungen verantwortlich zeichnen (und so sind dann auch die Sendungen), ist man in Japan in allen Belangen auf der Höhe des Geschehens. Und das wird mit zunehmender Laufzeit immer komplexer. Fortlaufend erhält man alle Zwischenzeiten oder bekommt die Positionen und die Abstände der Läufer von 20 Teams. Ralf Scholt und wie die ganzen Fernsehstrategen in Sachen Marathon in Deutschland heißen mögen, die sollten sich dies einmal anschauen. Es steht nämlich außer Frage, dass ein wesentlicher Anteil des Kultstatus von Hakone auf der großartigen TV-Präsentation seit vielen Jahren beruht. (Übrigens können da die chinesischen Produzenten vom Xiamen-Marathon, der zeitgleich über die Bildschirme lief, noch eine ganze Menge von Japan lernen).
Ein zweiter Aspekt ist das schon oft angesprochene Leistungsniveau der “Studenten” aus dem Großraum Tokyos, das in der Leistungsspitze und -breite immer wieder schier unfassbar erscheint. Einen Vergleich mit den deutschen Verhältnissen macht dies mehr als deutlich. Im letzten Jahr 2015 lief der deutsche Hochschulmeister im Halbmarathon, der Berliner Nils Bubel, eine Zeit von 1:08:25, Platz 10 wurde mit 1:18:23 belegt, bundesweit wohl gemerkt. Bei Hakone hätte sich der gute Nils nicht für eines der 20 Teams qualifizieren können. Etwa 1:04 Stunden sind da von Nöten, und die vorderen Teams bei Hakone bringen Vorleistungen an den Start, wo man schon durchatmen muss. Aoyama Gakuin zum Beispiel gibt für das Mittel seines Teams der 10 Starter 13:56 für 5 km, 28:35 für 10 km und 1:02:36 für den Halbmarathon an. Das schaffen bei uns gerade einige Läufer der Leistungselite. In Japan sind das Läufer, die alle an Universitäten eingeschrieben sein müssen. “Ausländische” Verstärkung gibt es nur in wenigen Fällen, die aber im Leistungsniveau nicht herausragen.
Dieses Leistungsniveau wird dann im Rennen in allen Belangen bestätigt. Dazu nur ein Blick auf die erste Etappe über 21,3 km, die Kazuma Kubota von Aoyama Gakuin in 1:01:22 gewann, der drittschnellsten Zeit in der Geschichte von Hakone. Dies entspricht einer Zeit von etwa 1:00:50 im Halbmarathon. Mit einer solchen Zeit gewinnt man auch international etliche Läufe über diese Distanz. Dass diese Leistung keinesfalls singulär ist, zeigen einige Daten auf der ersten Etappe. Mit 2:49, 2:52, 2:52, 2:54, 2:47 erreichten fast alle 20 Teams in 14:16 die 5 km Marke. 15 Läufer passierten 10 km in 28:43 und immer noch 12 Läufer waren in 43:30 bei 15 km zusammen (61:11 Tempo für HM).
In dieser Qualität ging das Rennen weiter, wobei der Titelverteidiger Aoyama Gakuin die Führung stetig ausbaute und schon am ersten Tag mit einem Vorsprung von 3:04 Minuten in Hakone abschloss. Dabei konnte ein leicht angeschlagener Daichi Kamino seine Galavorstellung vom letzten Jahr nicht ganz wiederholen und wurde auf der legendären fünften Etappe mit einem Rückstand von fast einer Minute nur zweitbester Läufer. Diesbezüglich gibt es eine nette Story am Rande, denn im Vorfeld hatte sich der am Freitag schnellste Läufer auf der Königsetappe hinauf nach Hokone, Daniel Kitonyi (Nihon University), an dem Begriff “God of the Mountains” für den Vorjahressieger der fünften Etappe, Daichi Kamino (Aoyama Gakuin University), gestört, und er sich weniger anmaßend als “King” bezeichnen würde. Kitonyi ist somit nun der “Mountain King” von Hakone 2016.
Auch am zweiten Tag konnte Aoyama Gakuin den Vorsprung kontinuierlich ausbauen, wobei deren Läufer drei der fünf Etappen gewannen. Im Ziel lag man 7:11 Minuten vor der Konkurrenz, kein weiteres Team konnte diesmal die 11 Stundengrenze unterbieten.