Am heutigen Montag ist das 40-jährige Jubiläum eines Laufs, an dem wieder mehrere tausend Läufer auf die 25 km lange Strecke durch die Berliner Innenstadt mit Start und Ziel am/im Olympiastadion gegangen wären. Ein grandioses Finale winkt dabei jedem Teilnehmer mit der Passage durch die Katakomben und dem Ziel auf der blauen Bahn des Stadions.Von den französichen Allierten am 3. Mai 1981 als “25 km de Berlin” begründet (eigentlich sollte der Lauf schon ein Jahr zuvor stattfinden), hat diese Veranstaltung eine in der Tat einmalige Historie hinter sich und war vor allem der “Türöffner” für den Berlin Marathon hinsichtlich einer Streckenführung mitten durch die Stadt.
Kurz vor dem Start bei der Premiere der “25 km de Berlin” im Jahr 1981. (c) Sportmuseum Berlin
In den 40 Jahren seiner wechselvollen Geschichte hat dieser Lauf stets Sport auf höchstem Niveau geboten, zu allen Zeiten waren Athleten der Weltklasse am Start, vielfach wurden Weltrekorde/Weltbestzeiten aufgestellt und auch die aktuellen globalen Rekorde – aufgestellt von den Inhabern der Weltrekorde über die Marathondistanz – wurden auf der wegen des erheblichen Höhenprofils nicht einfach zu laufenden Strecke erzielt: 2010 lief die kenianische Ausnahmeläuferin Mary Keitany (KEN) 1:19:53, zwei Jahre später ihr Landsmann Dennis Kimetto (KEN) 1:11:18. Beide Bestmarken haben bis heute Bestand.
Bereits Mitte der 80er-Jahre gingen um die 10.000 Aktive an den Start, eine Rekordmarke verzeichnete man mit 14.300 Läufern aus aller Welt ein halbes Jahr nach dem Mauerfall im Jahr 1990. Bald darauf zogen sich die Allierten aus der Organisation dieses Events von Weltruf zurück, der Berliner Leichtathletik Verband übernahm die Veranstaltung bis ab 2008 “Berlin läuft” verantwortlich zeichnete. Diese Wechsel hatte der “Franzosenlauf” vor allem im Leistungsniveau unbeschadet überstanden, stets ging eine Armada von Freizeitläufern mit Läufern aus der absoluten Weltspitze – vornehmlich aus ostafrikanischen Ländern – an den Start. Doch dies scheint nun eine Geschichte aus vergangenen Zeiten zu sein.
Ein Foto aus glorreichen Zeiten (2015) mit den Weltklasse-Athleten Cheroben, Temesgen und Kipkemoi. Die Zeit des Siegers: 1:12:31 Stunden! (c) H. Winter
Im Jahr 2014 schloss sich “Berlin läuft” mit der belgischen Agentur Golazzo zusammen, die nach eigenem Bekunden europaweit über 200 Läufe betreut. Was dann bereits in den letzten beiden Jahren geschah, kam zunächst doch sehr überraschend, denn man verzichtete unvermittelt auf Eliteläufer – kaufmännisch gesehen sicher ein kaum einsichtiger Kostenfaktor. Dabei wurde in den Jahren 2017 und 2018 die Maßnahme noch etwas kaschiert, als die deutschen Topläufer Katharina Heinig und dann Jonas Koller letzte Chancen für eine Qualifikationsleistung im Rahmen des Events nutzten. Aber schon damals fehlte die internationale Elite, und es resultierte der Absturz des Leistungsniveaus in das Regime eines Volkslaufs.
Im letzten Jahr vor der durch die Corona-Pandemie diktierten Zwangspause, am 12. Mai 2019, schlug der Verzicht auf Topathleten und angemessene Preisgelder in allen Belangen zu. Der Sieger über die 25 km Samalya Schäfer (GER) lief mit 1:25:46 eine lobenswerte Zeit, international ist das aber bestenfalls drittklassig und wird ansonsten von vielen Frauen der Weltelite deutlich unterboten. Der immer noch gültige Weltrekord für die Frauen – erzielt bei diesem Rennen (!) – durch Mary Keitany steht steht seit 2010 bei 1:19:53. Platz 2 ging an Donal Coakley (IRL) in 1:30:49, womit ein einziger Läufer die 90 Minuten unterbieten konnte. Das ist angesichts der Topleistungen früherer Jahre mit vielen Zeiten unter 1:15 Stunden schon bitter.
Einen Tag zuvor beim 25 km Lauf in Grand Rapids in den USA liefen allein 10 Frauen bis 1:30 Stunden ins Ziel! Der Berliner 25 km-Lauf hatte bis vor kurzem Weltgeltung, wurde nun aber von den verbliebenen Konkurrenten der Szene im japanischen Kumamoto und in Grands Rapids leistungsmäßig demontiert. Bei den US-Meisterschaften 2019 im Rahmen des Traditionsrennens in Grand Rapids im US-Bundesstaat Michigan lief Parker Stinson (USA) Landesrekord in 1:13:38. Selbst für Platz 10 im Feld der US-Athleten musst man noch 1:17:53 rennen. Und sogar die beste Frau Emma Bates (USA) hätte mit ihren 1:23:51 den Sieger (!) von Berlin deutlich hinter sich gelassen.
Natürlich kann man sich fragen, was es am Ende bringt, wenn die Topelite weit vor dem Feld der Breitensportler vorweg läuft. Letztere sollen ihren Spaß haben und finden diesen sicher ohne die Elite, vor allem bei dem spektakulären Einlauf ins Berliner Olympia-Stadion. Doch Sport ist auch eng korreliert mit Leistung(en), und da sollten Konzepte, die die allgegenwärtige Leistungslosigkeit präferieren, ihre Grenzen finden. Ansonsten verkommt nicht nur der Sport zur Beliebigkeit. Ferner zeigen die Entwicklungen in den USA, dass die Korrelation zwischen der Teilnahme von Topelite und Freizeitläufern viel komplexer ist, als es eine oberflächliche Einschätzung der Dinge erwarten lässt.
So wird in einem Betrag in der “Berliner Zeitung” vom 3. Mai 2019 Christina Kelkel, die bei Golazzo für die Organisation des 25 km-Laufs verantwortlich zeichnet, zitiert: “Irgendwann stagnierte der Lauf mit Blick auf die Teilnehmerzahlen. Wir haben das Baby wieder großgezogen. 2010 waren es noch 6.000 Läufer, im vergangenen Jahr wurde die Zahl auf 12.000 verdoppelt.” Es wäre schön, wenn man diese Einschätzungen stützen könnte, die Realitäten scheinen sich aber mittlerweile anders zu entwickeln. Nach dem leistungssportlichen Desaster rennen dem 25 km-Lauf nun auch die Läufer davon.
Während im Jahr 2018 10.662 Finisher im Stadion gezählt wurden, waren das im letzten Jahr noch 7.920 Finisher (Die mit einer Verspätung von zwei Tagen auf der Webseite des Laufes publizierten NEWS berichten von 10.047 Teilnehmern). Ganze 3.214 Läufer beendeten den 25 km-Lauf, im letzten Jahr waren das noch 4.162. Nimmt man den mittlerweile etablierten Halbmarathon dazu, lauten die Zahlen 4.684 im Jahr 2019 zu 5.796 im Jahr 2018. Dem “Baby” scheint es mitnichten gut zu gehen. Eine gesunde Entwicklung sieht diesbezüglich sicher anders aus.
Dies ist umso erstaunlicher, als der mittlerweile übermächtige “Bruder” in der Stadt – der von SCC-Events organisierte Halbmarathon Anfang April – einen grandiosen Boom erfährt, der an die Regionen des (vollen) Marathon im Herbst heranreicht. So wurden im letzten Jahr an der neuen Location mit Start und Ziel im Tiergarten fast 30.000 Finisher registriert. Dabei kam auch der Halbmarathon zahlenmäßig lange nicht “aus dem Quark”. Man hat aber dort immer der Leistungselite ein Podium geboten und in der Leistungsbreite der Resultate überzeugt. Dies findet dann auch ein entsprechendes Echo in den Medien, das bei den S25 zu einer Vorberichterstattung führt, die weitgehend die Straßensperrungen für den Verkehr wegen des Laufs thematisiert. Eine Berichterstattung vom sportlichen Ablauf der Veranstaltung selbst ist so gut wie nicht mehr zu finden; worüber sollte man auch dezidiert berichten können.
Somit begibt sich der Veranstalter Golazzo mit voller Fahrt auf die Spuren der Competitor Group, die in den USA seit längerer Zeit die Rock´n´Roll Laufveranstaltungen organisieren. Dort waren es zunächst die Eliteathleten, die “eingespart” wurden, danach gingen die Sponsoren und Medien stiften, worauf dann auch die Teilnehmerzahlen dramatisch sanken. So wurde zum Beispiel der legendäre San Diego Marathon zugrunde gewirtschaftet. Von der glänzenden Premiere 1998 mit 20.000 Meldungen sind nach 20 Jahren und 10 Jahren Competitor gerade noch 2.000 Unentwegte übriggeblieben.
Bleibt zu hoffen, dass den S25 ein solches Schicksal erspart bleibt. Leider war es zum 40. Jubiläum das Corona-Virus, das eine Wende in Richtung zu den alten Zeiten verhinderte und auch beim 40. Jahrestag immer noch auf globaler Skala wütet. Man kann nur in allen Belangen wünschen, dass nach Bewältigung der Pandemie es auch bei dem 25 km-Lauf durch Berlin wieder (steil) nach oben geht.
Rückblick auf die ersten 30 Ausgaben des “25 km (de) Berlin”:
Der “Doppel-Weltrekord” über 25 km im Jahr 2010:
Der Weltrekord bei den Männern durch Dennis Kimetto (KEN) im Jahr 2012: