Kengo Suzuki (JPN) krönte mit einem sensationellen Landesrekord von 2:04:56 die 76. und letzte (!) Ausgabe des Lake Biwa Mainichi Marathon. An einer Verpflegungsstelle nach 36 km konnte er sich mit einem fulminaten Zwischenspurt von seinen zwei Mitstreitern lösen und das Rennen überlegen mit Streckenrekord und japanischem Rekord (zuvor: 2:05:29) gewinnen. Der “Biwako” hat sich damit mit einem Paukenschlag aus der internationalen Marathonlauf-Szene verabschiedet. Ab dem kommenden Jahr wird er nicht mehr in Otsu stattfinden und das Elitesegment in den Osaka Marathon integriert. Als ältester japanischer Marathonlauf stand der bereits 1946 begründete Event in der neueren Zeit stets im Schatten vom Fukuoka und vor allem dem Tokyo Marathon. Die Siegerzeiten rangierten im Bereich von 2:08 bis 2:10 Stunden und nur der singuläre Streckenrekord von 2:06:13 durch den damaligen kenianischen Weltrekordler Wilson Kipsang rechtfertigte in Ansätzen das “Gold Label” des internationalen Leichtathletik-Verbands.
Mit in der Tat sensationellem Verlauf und grandiosen Resultaten tritt man in Otsu am Lake Biwa von der internationalen Bühne ab, wobei sich so gut wie ausschließlich einheimische Läufer für ihren “Biwako” noch einmal so richtig ins Zeug legten. Und wie! Wie aberwitzig das Rennen am Ende war, veranschaulicht ein Vergleich mit den Leistungen im Marathon im Jahr 2004. In diesem Jahr war Felix Limo mit “nur” 2:06:14 der schnellste Athlet und im GANZEN Jahr 2004 liefen in ALLEN Veranstaltungen auf der GESAMTEN Welt und Läufern aus ALLEN Nationen 5 Läufer unter 2:07 Stunden, 16 unter 2:08 und 28 unter 2:09 Stunden. Heute schafften dies am Lake Biwa in EINEM Rennen an EINEM Tag und so gut wie mit nur Läufern aus EINEM Land mit 5 – 16 – 18 praktisch genauso viele Akteure. Das muss man kaum kommentieren.
Der Start zum 76. und letzten Biwako pünktlich um 9:15 Uhr. (c) NHK Livestream/Screenshot
Pünktlich um 9:15 Uhr wurde das Feld der ca. 350 Läufern vom Starter auf die Reise geschickt. Mit ersten km-Splits von 3:00 und 3:00 fand eine große Gruppe mit 5 Tempomachern ein gutes Anfangstempo, das dann auf den folgenden km-Abschnitten auf 2:54, 2:57 und 3:01 gesteigert wurde. Bei 5 km in 14:52 waren die Tempomacher angeführt von Kenta Murayama (JPN) und James Rungaru (KEN) perfekt im Soll zu einer Zeit im Regime des Landesrekords von 2:05 Stunden, eine sehr umfangreiche Gruppe mit weit über 50 Läufern folgte hier nach 14:59.
Auf dem Weg nach 10 km in 29:44 wuchs die Spitzengruppe auf ca. 25 Männer an mit Kurs auf 2:05:34 war das Tempo in Sachen Landesrekord perfekt getroffen. Nach 29:59 folgte eine zwei Gruppe mit um die 70 Läufern, die im Regime einer Endzeit um 2:06:30 agierten. Über 44:31 bei 15 km und 59:20 bei 20 km wurde die Hälfte der Distanz auf der Pendelstrecke an einem Stichkanal nach 1:02:35 erreicht, ca. 20 Läufer lagen damit auf Rekord-Kurs. Dies waren grandiose Perspektiven, aber es war erst die Hälfte geschafft. Die zweite Gruppe mit ca. 60 Läufern hatte ihr Tempo gleichfalls perfekt halten können und lag in 1:03:17 genau im Regime eines 3 Minuten/km-Schnitts.
Eine zweite Gruppe erreicht den Halbmarathon unmittelbar vor dem Wendepunkt in 1:03:17. (c) NHK Livestream/Screenshot
Als nach 25 km in 1:14:06 Kenta Murayama seine Dienste als “Hase” quittierte, war es einer der Favoriten im Vorfeld Hiroto Inoue (JPN), der mit km-Splits zwischen 25 km und 27 km von 2:54 und 2:53 sich kurz deutlich absetzen konnte. Inoue hatte im Frühjahr 2018 beim Tokyo Marathon 2:06:54 erzielt und war 2020 dort am Ende gescheitert den Landesrekord zu verbessern. An einer Hügelpassage mit 3:06 für den Kilometer wurde der Ausreisser wieder eingefangen und als bei 30 km in nach wie vor schnellen 1:28:57 James Rungaru als letzter Tempomacher ausstieg, formierte sich an der Spitze schnell ein Sextett in dem neben Inoue die Mitfavoriten Simon Kariuki (KEN), Masato Kikuchi (JPN) und Hidekatzu Hijikata (JPN) sowie der “Nobody” Kengo Suzuki (JPN) agierten.
Während Kariuki, Kikuchi und Hijikata mit PBs von 2:07:56 (Toyko 2020), 2:07:31 (Tokyo 2020) bzw. 2:09:50 (Tokyo 2020) an den Start gegangen waren, war Suzuki beim Debüt beim Biwako 2018 mit nur 2:10:21 notiert. Im Jahr 2019 war Suzuki beim Hamburg Marathon am Start und belegte dort in 2:11:36 nur Platz 13. An der Spitze war es nun vor allem Kariuki, der die Fahrt halbwegs hoch hielt. Bei 35 km in 1:44:00 lag man auf Kurs zu 2:05:38, wobei die Spitze sich in zwei Untergruppen separiert hatte, vorne agierten noch Kariuki, Hijikata und Suzuki. Die Entscheidung um den Sieg und für eine Topzeit fiel dann an einer Wasserstelle nach 36 km in 1:47:04, wo nach einem letzten km-Split von 3:04 das Tempo – durchaus üblich für diese Veranstaltung – zu verflachen schien.
Doch völlig unvermittelt rannte plötzlich Suzuki seinen beiden Mitstreitern davon und baute mit eindrucksvollen km-Abschnitten von 2:53, 2:52 und 2:51 seinen Vorsprung auf über 100 m aus. Als der Spitzenreiter, den im Vorfeld aber auch niemand auf der Liste hatte, die 40 km in 2:58:40 und die Marke einen Kilometer vor dem Ziel in 2:02:05 absolvierte, war der Landesrekord für den weiter wie entfesselt laufenden Japaner so gut wie sicher. Mit einem grandiosen Finale von der 40 km-Marke bis ins Ziel in 6:16 Minuten drückte Suzuki den Landesrekord mit 2:04:56 sogar noch unter 2:05 Stunden.
Kengo Suzuki lief einen sensationellen Landesrekord. (c) Livestream NHK/Screenshot
Welches Tempo der neue Landesrekordler im Schlusspart auf der Pflaster der Hafenstadt legte, zeigen die Abstände zu den Nächstplatzierten. Hidekazu Hijikata wurde Zweiter in gleichfalls hervorragenden 2:06:26, nur knapp über der alten Streckenrekordmarke und in der Tat sensationell lief mit der “Nobody-Startnummer” #343 Kyojei Hosoya (JPN) auf Platz 3 in 2:06:35, d.h. exakt mit einem 3 Minuten/km-Schnitt. Hosoya hatte sich nach der Hälfte sukzessive aus der zweiten Gruppe nach vorne gearbeitet und “pulverisierte” seine PB von 2:28:47 im Sinne des Wortes.
Erst auf Platz 4 kam einer der Topfavoriten im Vorfeld Hiroto Inoue in 2:06:47 ins Ziel, womit er sicher auch sehr zufrieden war. Und mit Yusuke Ogura (JPN) in 2:06:51 blieben hochklassige 5 Läufer im Ziel unter einer Zeit von 2:07 Stunden. Aber auch hinter der Spitze gab es eindrucksvolle Leistungen. Lauf-Unikum Yuki Kawauchi (JPN), dem viele schon ein Ende seiner illustren Karriere prophezeiten, überraschte auf Platz 10 in 2:07:27, womit er seine PB von 2:08:14 aus dem Jahr 2014 deutlich verbessern konnte. Am Ende blieben 28 Läufer im Ziel unter 2:09 Stunden, 42 (!) unter 2:10 Stunden und 71 unter 2:13 Stunden. Erst im Dezember 2020 hatte der Valencia Marathon die sub-2:10 Stunden-Marke auf 30 Läufer gesteigert, heute liegt die Latte für dieses Kriterium mit 42 noch einmal deutlich höher. Beachtet man dabei, dass diese Zeiten so gut wie ausschließlich von japanischen Läufern erzielt wurden – dabei war eine Armada an Topathleten des Landes noch nicht einmal am Start – , dann sind dies schon Fakten von historischer Dimension.
Allen denen, die ein Herz für den Marathon-Sport haben, wird mit der Aufgabe des “Biwako” am Ufer des Lake Biwa in Otsu und dem Ende einer langen Geschichte in Zukunft etwas fehlen. Aber landestypische Sturheit und Beharrlichkeit haben sicher dazu beigetragen, diese Entwicklungen zu fördern. Und mit der Spitzenleistung eines Landesrekordes und den vielen Topleistungen haben die Athleten des Landes den Abschied sicher noch schwerer gemacht. Zumal Japan sich gerade in einer Phase befindet, wo die einmaligen Leistungen im Laufsport an den Schulen und Universitäten auch den Profisport massiv erfassen. Da wäre der Biwako willkommener denn je.
Mit dem “Biwako” endet sicher ein Stück Sportgeschichte.
Ergebnisse Marathon: | |||
1. | Kengo Suzuki | JPN | 2:04:56 NR |
2. | Hidekazu Hijikata | JPN | 2:06:26 |
3. | Kyohei Hosoya | JPN | 2:06:35 |
4. | Hiroto Inoue | JPN | 2:06:47 |
5. | Yusuke Ogura | JPN | 2:06:51 |
6. | Shuho Dairokuno | JPN | 2:07:12 |
7. | Simon Kariuki | KEN | 2:07:18 |
8. | Masato Kikuchi | JPN | 2:07:20 |
9. | Kento Kikutani | JPN | 2:07:26 |
10. | Yuki Kawauchi | JPN | 2:07:27 |
11. | Kazuki Muramoto | JPN | 2:07:36 |
12. | Masaru Aoki | JPN | 2:07:40 |
13. | Tsubasa Ichiyama | JPN | 2:07:41 |
14. | Masaki Sakuda | JPN | 2:07:42 |
15. | Atsumi Ashiwa | JPN | 2:07:54 |
Die Splits der Siegers: | ||
5 km | 14:53 | 14:53 |
10 km | 29:46 | 14:53 |
15 km | 44:32 | 14:46 |
20 km | 59:21 | 14:49 |
HM | 1:02:36 | |
25 km | 1:14:09 | 14:48 |
30 km | 1:28:59 | 14:50 |
35 km | 1:44:01 | 15:02 |
40 km | 1:58:40 | 15:39 |
Marathon | 2:04:56 | 6:16 |