Mit einiger Irritation hat die globale Laufszene die Flut der fast unglaublichen Zeiten beim 19. Standard Chartered Dubai Marathon am letzten Freitag registriert. Sieben Männer im Ziel mit Zeiten von unter 2:05 Stunden, vier Frauen mit Zeiten von unter 2:20 Stunden gab es in der langen Historie des Marathonlaufs noch nie. Dabei verwundert nicht nur die einmalige Leistungsdichte an der Spitze, sondern auch die Athleten, die diese Zeiten auf der superflachen Strecke auf der Jumeirah Road an den Stränden des Arabischen Golfs erzielten. Ein Blick auf die Vorleistungen der Sieben weisen nur für den Vorjahressieger Tamirat Tola eine vergleichbare Zeit aus. Alle seine weiteren Mitstreiter verbesserten ihre Hausrekorde um 2 bis über 4 Minuten, zwei Akteure liefen sogar den ersten Marathon überhaupt.
Name | Land | Zeit | PB zuvor | |
1. | Mosinet Geremew | ETH | 2:04:00 | 2:06:09* |
2. | Leul Gebresilase | ETH | 2:04:02 | Debüt |
3. | Tamirat Tola | ETH | 2:04:06 | 2:04:11 |
4. | Asefa Mengstu | ETH | 2:04:06 | 2:08:41 |
5. | Sisay Lemma | ETH | 2:04:08 | 2:05:16 |
6. | Birhanu Legese | ETH | 2:04:15 | Debüt |
7. | Seifu Tura | ETH | 2:04:44 | 2:09:26 |
So einmalig diese Resultate sind, es muss mehr als verwundern, wenn man dann auf der technischen Besprechung erfährt, dass man Athleten mit solchen Vorleistungen ins Rennen auf Kurs zu 61:30 Minuten für die halbe Distanz schickt. Während ein solches Tempo selbst bei den hochkarätig besetzten Läufen zu einem (sportlichen) Desaster führt und nur ganz wenige Topstars solche “Selbstmord-Missionen” überstehen (das war übrigens auch in Dubai im letzten Jahr der Fall), ging diese Taktik im Emirat schon mehrmals mit Erfolg auf. Am Ende kam dann vor allem in diesem Jahr eine einmalige Leistungsdichte heraus. Eine gewisse Zockermentalität kann man einem solchen Herangehen an einen Marathon nicht absprechen.
“Seven-in-a-row” mit Zeiten von unter 2:05 Stunden. (c) Livestream/Screenshot (H. Winter)
Dabei wurde eine großartige Tempoarbeit der “Hasen” – Barselius Kipyego, Benson Kipruto und Felix Kibitok (die kannte zuvor auch kaum jemand) – im Regime des Weltrekords ein weiteres Mal in Dubai nicht zu noch schnelleren Zeiten genutzt. Die “Dubai disease” führte im Schlussteil zu einem Taktieren an der Spitze, wo mit zunehmender Nähe des Ziels die Läufer das enorm hohe Preisgeld von 200.000 US$ für den Sieger zu reflektieren beginnen und niemand mehr zusätzliche Energien in die Tempoarbeit investieren will.
Dies sieht man auch sehr deutlich in der Grafik der projizierten Zeiten im Ziel nach dem Ausstieg des letzten Tempomachers bei 32 km, wo das Tempo von 2:03 auf 2:04 Stunden absackte. Die km-Splits um 2:55 stiegen nun in Bereiche von über 3 Minuten. Somit war die Mission Weltrekord auch 2018 in Dubai weit vor der Ziellinie bereits zu Ende. Über welche Reserven die Akteure diesmal noch verfügten, belegt das schnelle Finale mit 2:48 für den letzten km und 6:20 Minuten von der 40 km-Marke bis ins Ziel. Ein Umstruktierung der Preisgelder auf Zeitboni würde da sicher helfen.
Die hohe Leistungsdichte ist aber auch angesichts der äußeren Bedingungen mehr aus ungewöhnlich. Bei Temperaturen um 14°C zur Startzeit um 6 Uhr war dies auch der Taupunkt (die Kondensation auf den Fahrzeugen, Uhren, etc. zeigten das deutlich). Bei solcher (absoluter) Luftfeuchte, wo der Wasseraustausch mit der umgebenden Luft erheblich eingeschränkt ist, derartige Zeiten zu laufen, grenzt schon fast an ein Wunder. Dabei hat aber sicher der frühe Start um 6 Uhr in der Dunkelheit geholfen, so dass die aufkommende Sonenneinstrahlung nur im Finale etwas störte und ein leicht auffrischender Wind für Kühlung sorgte.
Durch den frühen Start verlief das Rennen erst recht unter Ausschluss der Öffentlichkeit, die Resultate widerlegen aber eindrucksvoll die These, dass große Zuschauermassen Ausnahmeleistungen fördern. In Dubai war die Elite und der begleitende Tross völlig allein auf der Strecke. Ein besonderer Vorteil in Dubai ist neben der absolut flachen Strecke der perfekte Straßenbelag, der die “Holperstecken” in London, Chicago oder auch Berlin von der Qualität her weit in den Schatten stellt und an die Verhältnisse einer Bahn im Stadion heranreichen.
Wie einmalig der Zieleinlauf von 7 Männern unter 2:05 Stunden ist (auch die Frauen schafften eine fast vergleichbare Leistungsdichte) zeigen zwei Vergleiche mit der weltweiten Konkurrenz. Dabei entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, dass die schnellen Zeiten NUR von äthiopischen Läufern erbracht wurden, die Tempoarbeit aber ausschließlich in der Hand kenianischer Läufer lag; Letztere erreichten aber allesamt auf Grund ihrer Funktion das Ziel nicht. In der Grafik ist die Zahl der Finisher unter 2:05 Stunden in allen Rennen weltweit über die letzten Jahre aufgetragen. Es fällt sofort auf, dass EIN Lauf in Dubai es mit dem “Rest der gesamten Welt” aufnehmen kann. Selbst die vermeintliche Elite der World Marathon Majors lässt Dubai um Längen hinter sich. Zu einem ähnlichen Schluss kommt man, wenn man die sub-2:05 Resultate über alle Jahre bei den diversen Veranstaltungen auflistet. Auch hier lässt Dubai die globale Konkurrenz um Längen hinter sich.
Finisher unter 2:05 Stunden | ||
1. | Dubai Marathon | 21 |
2. | Berlin Marathon | 13 |
3. | London Marathon | 7 |
4. | Chicago Marathon | 7 |
5. | Rotterdam Marathon | 6 |
6. | Frankfurt Marathon | 2 |
7. | Tokyo Marathon | 1 |
Und im globalen Ranking des Mittels der zehn besten jemals auf einem Kurs erzielten Zeiten hat sich Dubai bei Männern sowie Frauen hinter Berlin bzw. London jeweils auf Platz 2 geschoben. Nachstehend ist die Liste für den Marathon der Männer aufgeführt.
Das Zehner-Mittel der schnellsten Marathonstrecken bei den Männern |
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1. | Berlin | 2:03:29 |
2. | Dubai | 2:04:13 |
3. | London | 2:04:34 |
4. | Chicago | 2:04:40 |
5. | Rotterdam | 2:04:52 |
6. | Amsterdam | 2:05:32 |
7. | Frankfurt/Main | 2:05:37 |
8. | (Boston)* | (2:05:54)* |
Bei den Teilnehmerzahlen sieht es allerdings in Dubai weniger beeindruckend aus, die stagnieren nämlich im Marathon seit Jahren bei unter 2000 Aktiven und werden nur durch einen 10 km Lauf (und einen 4 km Fun Run) hochgehalten. Hier scheinen die Organisatoren immer noch nicht realisiert zu haben, dass ohne weitere Bewerbung des Events auf den Messen der internationalen Großevents keine zusätzliche Klientel auf die Strecke ins Emirat zu locken ist. Die Ausnahmeleistungen an der Spitze tangiert dieser Aspekt natürlich nicht. Dabei ist eine Reise und eine Teilnahme bei einer außergewöhnlichen Veranstaltung sicher auch für Freizeitsportler eine Überlegung Wert.Am Freitag in einer Woche gehen die Tempojagden im Emirat schon weiter. Dann wird der ungeliebte Nachbar im nördlich gelegenen Emirat Ras Al Khaimah mit einmaligen Elitefeldern Jagd auf die Halbmarathon-Weltrekorde bei den Männern und vor allem Frauen machen. Großartige Ergebnisse sind da schon fast vorprogrammiert. Läuferisches Fazit: “Die Wüste lebt!”